Kategorie-Archiv: Auf Deutsch

Texte auf Deutsch

Der Tanz auf dem Vulkan

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Es war 5.40 Uhr, morgens. Ich werkelte gerade an dem gasbefeuerten Durchlauferhitzer im Bad, als in meinem Zimmer mein dritter Wecker losging und die gesamte kleine Pension in Alarmbereitschaft versetzte.
Ich war vor zwei Tagen in Temuco zur Durchquerung der berühmten Seenlandschaft im Herzen Chiles aufgebrochen. Meine Einschätzung des hiesigen Straßenzustands als „alles flach und asphaltiert“ hatte sich in beiden Teilen als zu optimistisch erwiesen, und der Vortag hatte mich -nach einer schönen Zeltnacht an einem Seeufer- mit steilen Schotteranstiegen und strömendem Regen ziemlich gebeutelt. Dennoch wollte ich mir die Gelegenheit, den Vulkan Villarrica zu besteigen, nicht entgehen lassen. Seit dem verheerenden Ausbruch 1971, dessen Schlammlawine u.a. das Dorf Lican Ray zerstörte, steht dieser Vulkan unter intensiver seismischer Beobachtung. Beim Aufstieg waren noch die kahlen Schneisen zu erkennen, die der Lavastrom hinterlassen hat. Das Wetter hatte uns eine 50% Gipfelwahrscheinlichkeit versprochen, und wir fielen in die richtige Hälfte: das erste Schneefeld erreichten wir gegen 10.30 Uhr, den Kraterrand gegen Mittag. Der Regen des Vortags hatte den Kraterschlund geflutet, so daß dichte Fumarolen, Schwaden von reizendem Schwefeldampf, den Blick auf die glühende Lava verhüllten. Die sich bedrohlich schnell schließende Wolkendecke zwang uns zu raschem Aufbruch. Die rasante Abfahrt auf dem eigens verstärkten Hosenboden des Schutzanzugs und auf dem mitgebrachten Plastikteller genoß ich wie ein Schulkind.
Noch am gleichen Abend, nach meiner Rückkehr nach Villarrica, radelte ich, einer herzlichen Einladung folgend, die 30km nach Lican Ray, zu neuen Abenteuern.

Un hogar en Santiago

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Dank einer Einwohnerzahl, die fast ein Drittel des gesamten Landes ausmacht, nämlich knapp fünf Millionen, ist Santiago, mit seinem pulsierenden Zentrum, modernen Glastürmen, den stimmungsvollen Stadtvierteln und den ausgedehnten Parkanlagen, die Metropole Chiles.
Ich hatte das Glück, diese Stadt und ihr Umland mit einer befreundeten Familie erkunden zu dürfen, mit Cecilia, Paulina und Ricardo, die mich in den vergangenen anderthalb Wochen beherbergt haben. Für mich war das, nach diesen Monaten ständigen Unterwegs-Seins, ein wirkliches Zuhause, eine Zeit tiefer Erholung und -trotz meines beim Spazieren empfindlich verstauchten Fußes- eine Zeit der Regeneration. Der Austausch mit dieser weltgewandten Familie, über chilenische Kultur und Kochkunst, über Literatur und Musik, über Erinnerungen und Erfahrungen hat mir viel bedeutet.
Paulina war bereit, die gemeinsame Zeit in einem Gastbeitrag zu verdichten:

Alguien dijó una vez: ‚viajar es mejor que llegar‘ y yo exclamé ‚¿qué?‘, porque yo pensaba que solo había un camino para llegar donde quieres ir en la vida. Sin embargo, escoger un camino no significa tener que abandonar todos los demás y así he comprendido también que en realidad es lo que pasa por esos caminos lo que realmente cuenta: los tropiezos, las caídas, los paisajes, las personas, las amistades, el amor, la vida misma… Es el viaje y no el destino lo que dejan la huella en el corazón. Por eso, pienso que hay que aprender del pasado, vivir el presente y confiar en el futuro, para que todo resulte como debe ser… pues el mundo es de quien quiera encontrarlo.

Recuerdo cuando escuché decir a mi padre que „un alemán“, conocido de uno de sus amigos en Alemania, estaba recorriendo Latinoamérica en bicicleta y que llegaría a visitarnos.
„¿Recorriendo Latinoamérica en bicicleta?“ ¡Imposible! Sin duda pensé que mi padre se había equivocado…¡Pero NO! Cuando llegué a casa ese día efectivamente había una bicicleta apoyada en una de las paredes del comedor y al lado de ella un alemán sonriendo.
¡Increíble! Simon Kuttruf había recorrido en 8 meses, 6 países y 8.000 kilómetros en la bicicleta que estaba frente a mis ojos y aún le quedaban 3.000 kilómetros de viaje, pues el proyecto en Sudamérica era llegar a Ushuaia, el fin del mundo… y bueno, continuar por algunos países de Europa hasta volver a su patria… ¿La razón? Vivir su sueño. ¿El objetivo? Vivir el camino.
Desde su llegada a Santiago y tras escuchar sus innumerables experiencias e historias, no dejo de admirar y sorprenderme por el valor que existe en aquellos que se atreven a dejar toda la estabilidad y seguridad social que su hogar puede ofrecerles, y deciden ir en busca de sus sueños para vivirlos de verdad.
Así como un hombre que sale de su pueblo a descubrir el mundo y nunca regresa siendo el mismo hombre que un día decidió partir, pienso que un viaje como éste, rebosante de nuevas experiencia, nuevos paisajes, nuevas personas, nuevas formas de pensar y de momentos inolvidables, definitivamente han dejado una huella imborrable en los caminos… no solo de Simon, sino de todos aquellos que conocieron su viaje y fueron parte de esta hermosa experiencia de vida.

Bergetappe: Über den höchsten Pass Argentiniens

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It’s the paradox // That drives us on
It’s a battle of wills
It’s the passion that kills
The victory is yours alone
Burning Heart

Die Mühen der Ebene liegen hinter uns, vor uns liegen die Freuden der Berge.
Sehnsuchtsvoll hatte ich in der Hitze und eintönigen Monotonie der kargen Puna-Ebenen immer wieder zu den weiß bezuckerten Bergen am Horizont geblickt, ab Jachal auf 1200m begann dann der lange Anstieg, der mich am dritten Tag über den Anden-Pass Agua Negra, den höchsten Grenzübergang zwischen den beiden Ländern auf 4779m, nach Chile führen sollte.
Die erste Nacht zeltete ich am Seestrand des entspannten Hippiedorfs Rodeo, des besten Surfspots Argentiniens, dessen Wind in dieser Nacht seinem Ruhm durchaus gerecht wurde: ab 3 Uhr war mit ausgerissenen Zeltpolen an Schlaf nicht mehr zu denken, ich löste Exponentialintegrale. Die folgende Nacht, nun 1600m höher, war kaum besser: ich hatte in dem engen Bergeinschnitt auf dem einzig auffindbaren ebenen Platz abseits der Straße, auf einer Baustelle, das Zelt aufgeschlagen, am frühen Morgen um 7Uhr weckte mich der Lärm einer direkt auf mich zurollenden Planierraupe – Marcello und Carlos luden mich zum Mate-Frühstück, dem argentinischen Nationalgetränk, zu dessen Zubereitung jeder Argentinier immer eine Thermoskanne heißen Wassers bei sich führt.
Nach der Aufmerksamkeit zu urteilen, die mir von den Autofahrern an diesem Tag zuteil wurde, ist der Anblick eines mit dem geschotterten Steilhang ringenden Radlers hier nicht allzu gewöhnlich: ermunternde Zurufe, felicitationes!, Photoshootings und gereichte Äpfel und Orangen. Die hinreißende Schönheit der Landschaft ließ alles Leid vergessen: Wege in Wolkenwatte, Büßerschnee-Zackenformationen, Farbsymphonien in Rot- und Gelbtönen. Auf der chilenischen Seite, getreu den geologischen Schulmodellen, mischte sich ein zartes Grün in die intensive Farbpalette.
Ich hatte den Pass erst gegen 19Uhr erreicht und da ich die Nacht nicht unbedingt in dieser Höhe verbringen wollte, wählte ich eine steile Varianten-Abfahrt in grobem Schotter – im Mittel 10% Steigung auf 7km. Mit glühenden Bremsscheiben erreichte ich den grünen Talgrund.
Die chilenischen Behörden scheinen auf den Grenzverkehr nicht viel Wert zu legen: hartes Waschbrett im Wechsel mit kilometerlangen Schotterschwemmen kinderfaustgroßer Steine. Ich passierte am folgenden Tag allein vier mit Reifenpannen liegengebliebene Autos; mit Glück und Geduld, wenn auch mit schmerzenden Handgelenken, überstand ich die Etappe sturz- und pannenfrei. Ich erschrak allerdings über die staubgepuderte Maske, die mir am späten Nachmittag aus dem Spiegel der chilenischen Zollstation entgegenblickte.
Am nächsten Tag durchquerte ich Chile: die verbleibenden 140km von den Anden bis zur Küste. Ich war ohne Zweifel in der Schweiz Südamerikas – ab 1300m kompromisslos die felsigen Steinhänge hinaufgezogene Anbauflächen des vielgerühmten chilenischen Weins, in den aufgeräumten Läden entlang der stark befahrenen Straße nach La Serena gab es zum Mote con Huesillo tatsächlich deutschen kuchen! Am Abend schon genoß ich am Fonduestand bei einer freundlichen Unterhaltung auf der Plaza der Kleinstadt in Schokolade gebadete Früchte, eine sympathische Familie lud mich umgehend für den nächsten Tag zu einem typischen Gericht ein, dem berüchtigten Bohneneintopf Porote.
Seit Jachal habe ich 395km und 4570 Höhenmeter zurückgelegt.

Im argentinischen Sommer

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… so ein Sommer wie er früher einmal war…

Ich hatte den Weihnachtsabend sehr schön mit dem Schweizer Ehepaar Monika&Robert grillend auf dem Campingplatz in Salta verbracht: die beiden beradeln seit neun Jahren die Länder dieser Welt, das Unterwegs-Sein wird da vom Sehnsuchts- und Sinnbild der Unbeständigkeit unseres Lebens zum Leben selbst, Erfahrung setzt sich an wie Zahnstein, und im Kaleidoskop der Erlebnisse entsteht das vielgestaltige Bild des Menschen in der Welt.
Am nächsten Morgen brach ich auf, gen Süden, stille Ortschaften, schmucke Häuschen, Weinanbau – und eine irrsinnige Hitze, die sich in den kommenden Tagen auf Temperaturen bis 46°C steigern sollte. Sie lähmt die Glieder, trübt die Sicht und mit glühendem Schädel rettest du dich in einen Kiosk am Weg, kippst wahllos kühles Zuckerwasser oder Sojasaft, 4-6 Liter am Tag, dazu 6-9 Kugeln Eis.
Nach einem Straßendorf mit dem großspurigen Namen Alemania tauchte ich ein in die rötlichen Felslandschaften des Valle de Lerma, schroffe Formationen, in denen sich bizarre Gestalten zeichnen. In der Garganta del Diablo, dem Teufelsschlund, traf ich auf Olga&Guilermo, die in Ayacucho eine kommunitäre Granja unterhalten, den Anbau der Tabakmonokulturen in Argentinien bekämpfen, sich für eine neue Landverteilung engagieren, in Mexiko eine Fußballschule für Jugendliche aufgebaut haben und in Kolumbien bolivianisches Kunsthandwerk verkaufen. Eine interessante Begegnung mit zwei unverbesserlichen Weltverbesserern, mit zwei Menschen, die nicht bereit sind, sich mit bestehendem Unrecht abzufinden.
In der anbrechenden Dämmerung, 20km vor meinem Tagesziel Cafayate, ein Rattern, das mir durchs Mark ging: der Freilauf meines Hinterrads blockiert, ein Problem, das ich mit meinen bescheidenen Bordmitteln nicht lösen konnte. Wo die Not am größten ist, ist Hilfe nicht weit, und Gott sandte mir seinen fähigsten Mechaniker, Matteo, einen breiten und geduldigen italienischstämmigen Argentinier. Gemeinsam zerlegten wir am nächsten Morgen die Radachse, reinigten die Ritzelkassette vom Schmutz der 7200km, schmierten die Lagerkugeln und ordneten die filigranen Plättchen des Freilaufkörpers, die Kraft in Drehbewegung umsetzen.
Mit dem neuen Antrieb (und einem guten Rückenwind) flog ich nur so dahin, nun auf der berühmten Ruta 40, die ganz Argentinien bis Feuerland durchquert. Am Nachmittag erreichte ich die Ruinen von Quilmes, einst Wohnstätte von 6000-8000 Cachaquis, heute die größte archäologische Anlage Argentiniens, bekannt durch die gleichnamige Biermarke. Die tapferen Bewohner widerstanden den Inkas und mußten sich erst im 17.Jahrhundert den Spaniern geschlagen geben, die sie in einem einjährigen Todesmarsch nach Buenos Aires deportierten.
Ich zeltete in der umgebenden Buschlandschaft. Gegen 22Uhr, in völliger Dunkelheit, galoppierten unvermittelt vier Pferde direkt hinter meinem Zelt im Gesträuch vorbei. Das sind Momente großer Demut, eines einsamen, gebannten Harrens, was weiter geschehen wird. In diesem Fall: nichts. Gewitter am Horizont.
Am folgenden Tag weiter durch die trockene Savannenlandschaft mit den bezuckerten Gipfeln der Aconquija-Kette in der Ferne, ein nettes road encounter, gegen Abend rechtzeitig zu Silvester in Belén.

¡Feliz Navidad!

Weihnacht

Mon beau Sapin bei 40ºC (San Pedro de Atacama, Chile)


Ohne Schnee kommt auch in einer so schönen Stadt wie Salta nicht so recht Weihnachtsstimmung auf. Ich erzähle daher eine Geschichte, die ich vor einiger Zeit in dem in ganz Südamerika sehr populären Anekdotenbuch La Culpa es de la Vaca las, eine Geschichte, in der Schnee eine schwerwiegende Rolle spielt, eine Art Weihnachtsgeschichte, wenn man will:

Winter, zwei Vögel im Schneetreiben. „Was wiegt denn eigentlich so eine Schneeflocke?“ fragt der Eine. – „Nichts.“ antwortet der Andere. – „Seltsam: als ich kürzlich auf einem Ast saß und die Schneeflocken zählte, die auf ihn hernieder wehten, brach bei der 7 Milliardsten mein Ast.“ – „Vielleicht“, dachte der andere Vogel, als sie davonflogen, „vielleicht fehlt eine Stimme, daß Frieden wird auf der Welt.“

Ich wünsche allen frohe Weihnachten!
Queridos Amigos, que tengan una ¡Feliz Navidad!

Anecdota

Über den Paso Jama zurück ins Leben

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Diesmal wußte ich, was auf mich zukam: der Aufstieg zum Paso Jama über die Anden, eine der längsten Steigungen der Welt, 2500 Höhenmeter auf 50km. Seltsam verlängerte sich mein Aufenthalt in der unspektakulären Touristenoase San Pedro von Tag zu Tag, morgens Avena-Frühstück, mittags zwei köstliche Gemüse-Empanadas auf dem Markt, abends gemeinsames Nudelessen mit den beiden befreundeten Reisenden Caro und Karl. Am 15. morgens Blick in den Spiegel: face the fear, am selben Tag brach ich auf und nahm die Steigung langsam und geduldig in Angriff. Sieben Stunden bis zur bolivianischen Grenze, weitere zwei zum höchsten Pass auf 4923m. Ich kämpfte mich durch den heftigen Gegenwind auf der weiten Mondlandschaft, als neben mir ein Jeep hielt: Do you want a ride? Die Aussicht, noch heute die argentinische Grenze zu erreichen, gefiel mir. Ich nahm an. Die beiden Ingenieure Ashish und Lénard hatten gerade nach Jahr und Tag den deutschen Beitrag zum Alma-Projekt fertiggestellt, dem derzeit größten Radioteleskop der Welt, mitten in der Atacama-Wüste. Ich wünsche ihnen eine gute Heimkehr!
An der argentinischen Grenze, dem Paso Jama, begrüßte mich wohltuend ein milder Luftzug, nach der beißenden Trockenheit eine angenehme Feuchtigkeit, die sich allerdings am Nachmittag des nächsten Tages in einen heftigen Hagelsturm verwandelte. In Argentinien hatte die Regenzeit begonnnen, und alle meine Zeltnächte wurden von fernen und nicht so fernen Blitzen am Horizont begleitet. Ich durchquerte ausgetrocknete Hügellandschaften, rötliche Erosionsformationen, kaktusbewachsene Fels-Schluchten, die ausgestreckten Ebenen der Salinas de Olaroz und der Salinas Grandes, der größten industriellen Salzproduktion der Provinz Jujuy – doch nach 270km hatte ich den Eindruck, wieder lange genug auf Asphalt gefahren zu sein; ich schlug mich für zweieinhalb Tage auf Nebenstraßen ins argentinische Hinterland: Puna-Landschaften am Fuß des Volcán Chañi, Begegnungen mit scheuen Schafhirten, die mir in ihren einfachen Erdbehausungen frischen Käse verkauften, geisterhaft verlassene Fincas, und immer das vom nachmittäglichen Südost-Sturm gebeugte gelbliche, zähe Steppengras in der öden Kargheit. Man kann sich kaum meine Freude und Dankbarkeit vorstellen, als ich nach mehr als zwei Monaten im Altiplano erstmals wieder zartes Grün sah, erstmals wieder Vogelgezwitscher hörte: die Ruta 51 trug mich in mildem Sommerregen durch die von grillenden Familien bevölkerten Isarauen des Río Rosario, Allgäu-Landschaften, Erinnerungen an meine geliebten Münchner Hausberge – zurück ins Leben.
In den frühen Nachmittagsstunden erreichte ich nach 508km, 40,5 Stunden und 4325 Höhenmetern Salta.

La Ruta de Lagunas

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Dans la vie, il n’y a pas des solutions.
Il n’y a que des forces en marche: il faut les créer et les solutions suivent.
A.Saint-Exupéry, Vol de Nuit (Nachtflug)

Ich sank erschöpft in den Sand und schloß die Augen. Alles drehte sich, und alles fühlte sich leicht, schwerelos an. Für die letzten 10km hatte ich dreieinhalb Stunden gebraucht, hartes Schieben durch weiches Kiesbett, gegen einen infernalischen Frontalwind, der mir täglich ab Nachmittag aus Süd-West entgegenblies. Erst in der Dunkelheit hatte ich den ausgehöhlten Felsen erreicht, in dessen Schutz ich das Zelt aufbaute. Über mir ein sternklarer Nachthimmel, Orion und Milchstraße, und um mich herum die endlosen Weiten dunkel schimmernder Sanddünen. Gegen halb Neun ließ der Sturm nach und wich mit der aufziehenden Kühle einer absoluten Stille, die gleichsam greifbar auf mich zukroch. Die Welt gehört Dir in solchen Momenten.
Die Bilder vom Tage klangen an: die bizarren Felsformationen, die ich durchwandert hatte, die immer wechselnden Farbspiele auf den samtigen, sanft gewellten Sanddünen, die ich für Stunden hätte beobachten können, die leuchtenden Lagunen mit den rosa hingetupften Punkten der Flamenco-Schwärme. An der blau-weißen Laguna Cañapa hatte mich eine freundlich faszinierte Touristengruppe, Besucher von einem anderen Stern, zum Mittagessen eingeladen, an der rostroten Laguna Colorada hatte ich meine Wasservorräte aufgefüllt, an der türkis-schwefelgelben Laguna Chalviri nach einem kräftigen Hagelschauer ein abendliches Bad in den heißen Thermalquellen genommen.
Am achten Tag erreichte ich mit der Laguna Blanca die Grenze des Nationalparks Avaroa, früh am nächsten Morgen bei frostigen -8ºC den Grenzübergang nach Chile. Vor mir erstreckt sich eine der längsten Abfahrten der Welt, die auf 42km feinstem Asphalt pfeilgerade mehr als 2000 Höhenmeter abfallende Straße ins Atacama-Becken, zur Touristenoase San Pedro. Meter für Meter trägt mich das traumhaft leicht gleitende Fahrrad zurück in die Zivilisation. Hinter mir liegt eine der intensivsten Zeiten meines Lebens.

There were times when I deeply doubted that a bicycle is the right means to cross a desert. These were moments of despair and they mostly happened in the evenings, after a day of hard pushing. Pushing here is to force a 50kg colossus in 4500m altitude through 5cm of sand – against steady headwind and uphill. With heavy struggle you average 3km an hour. You shout in the wind. He doesn’t care. It doesn’t matter. Nothing matters. You simply go on. You don’t know how many days have passed but you know for sure that the solution is only ahead. The sand dunes gleam in the sun. You could stand there for hours watching the changing colors on their subtle surfaces. You pitch the tent at night behind some sparse shelter against the yelling wind. Stars shine bright in the silvery night as you listen into the absolute silence. You are all alone in these wide open spaces. You go on pushing the bike the next day. Now and then, visitors from another planet pass by in trucks, taking pictures of your efforts and pitifully handling over a bottle of water. Once you lost the way and felt your precarious exposedness in these lonely moonscapes.
On the ninth day I crossed the border to Chile, riding then on the finest tarmac I’ve seen for two weeks, heading back to the amenities of civilisation. I know that I just spent one of the most intensive times of my life.

Since Sabaya, I cycled (and pushed) for 68,5 hours, 668km and 4350 altitude meters.

This excellent map is taken from tour.tk.

Durch die weiße Wüste

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If you should go skating // On the thin ice of modern life
Pink Floyd

Um Punkt 15 Uhr hatte mich der Bus in Sabaya abgesetzt, ein paar Häuser im Sand, nichts weiter. Am Vortag war meine Weiterfahrt aus Oruro dem Streik der Busfahrer zum Opfer gefallen, ich hatte den Aufschub genutzt, um noch einmal meine Vorräte aufzustocken: ausgestattet mit 12 Litern Wasser, 10kg Pasta und Reis, 1kg Saucen und Suppen und 2 Litern 96% Alkohol, der mir tatsächlich als trinkbar verkauft wurde (mir aber nur als Brennstoff und zur Desinfektion dienen sollte), stand ich an der Abzweigung zum Salar de Coipasa, eine stark gewellte Sand- und Schotterpiste, das berüchtigte bolivianische Waschbrett. Mein Abschied vom Asphalt für zwei Wochen. Die Schwierigkeiten, die mich in den nächsten Tagen herausfordern sollten, waren schnell angespielt: die starke Sonne, der heftige Frontalwind aus Süd-West und der auf der versandeten Huckelpiste unweigerlich zu Boden gleitende Gepäcksack. Wie im richtigen Leben auch neigen die Dinge dazu, sich gehen zu lassen, und nur mit ständiger Anstrengung (hier etwa alle 100m) halten wir die stetig anwachsende Entropie im Zaum. Erst am dritten Tag gelang es mir, mit einem ausgetüftelten Schnürsystem die Perioden erforderlicher Wartung auf Kilometer zu verlängern.
Für die erste Nacht fand ich Windschutz in einem geschlossenen Kreis aufgeschichteter Steine, die beim Verladen des Gepäcks am nächsten Morgen unter mir nachgaben und mich mit dem Proviantsack unter sich begruben: mit kleineren Schürfungen, Nudelmehl und Tomaten-Mandarinen-Likör im Rucksack ein gelungener Start ins Abenteuer!
Unverdrossen brach ich auf gen Horizont, den die weiße Fläche des Salars erleuchtete. Beim Näherkommen erwies sie sich allerdings als ein Untergrund von sehr gemischter Tragfähigkeit: eine salzige Kruste, durchsetzt mit groben Rissen und wässrigen Pfützen, deren Spritzwasser das Fahrrad bald mit einer weißen Haut überzog. Zauberhaft schwebend über dem leuchtenden Weiß tauchten lockend kleinere Inseln auf, unbeirrt peilte ich in 30km Entfernung am Ufer ein Dorf mit dem verheißungsvollen Namen Tres Cruces an. Es bestand aus wirklich nicht mehr als drei Kreuzungen – und einem rostigen Windradl, das wohlmeinende Europäer vor Jahren dort als Pumpe fürs Grundwasser installiert hatten. Aufgrund fehlender Ersatzteile wird nun allerdings wieder von Hand gepumpt.
Das Schieben durch die tief versandete Dorfeinfahrt war harte Arbeit; freudig wurde ich von einigen Kindern empfangen, die sofort meine schnell schwindenden Vorräte an Gastgeschenken plünderten. Am nächsten Abend, nach der mühseligen Durchquerung der Halbinsel zum Nordende des Salar de Uyuni, fand sich kein so dankbares Empfangskomitee: just bei meinem Eintreffen in Tahua am Fuß des farbigen Volcán Tunupa fiel die Stromversorgung aus, nur vereinzelte Schatten huschten durch die dunklen Straßen, in einigen Fenstern brannten Kerzen.
Der Salar de Uyuni ist mit einer Flächenausdehnung größer als Niederbayern die größte Salzwüste der Erde. Sein Salz wird seit Jahrhunderten abgebaut und als Baumaterial, aber auch zum Verzehr genutzt. Seit kurzem vermutet man reichhaltige Lithiumvorkommen unter seiner Oberfläche, deren Erkundung gestaltet sich schwierig (s.a. ein aufschlußreiches Interview). Mit einer Zelt-Übernachtung auf der für ihre wunderschönen Säulenkakteen bekannten Isla Incahuasi habe ich diese eindrucksvolle weiße Ödnis in zwei Tagen durchquert.
Mit Einbruch der Dunkelheit gelangte ich am Abend des zweiten Tages nach San Juan, letzte Versorgungsstation vor der Lagunenroute durch die silolische Wüste. Die Suche nach einer Nahrungsquelle führte mich zu einer Abiturfeier, die nach lokalem Brauch mit einer Speisung des gesamten Dorfes begangen wird. Überaus freundlich wurde ich begrüßt und bewirtet. Die Folgeerscheinungen der nächtlichen Völlerei erzwangen dann aber zwei Ruhetage in dem abgelegenen Sanddorf.

Über den Wolken

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Nach dem Abschied von meiner Mutter, meinem Bruder, fühlte ich mich erstmals auf dieser Reise etwas verloren, etwas ziellos in der weiten Welt.
Noch am Nachmittag habe ich für den folgenden Tag die nur mit Bergführer zulässige Besteigung des Huayna Potosí gebucht, des weißen Riesen von 6088m, der mich schon beim Titicaca-See über die steinige Hochebene hinweg gegrüßt hatte.
Da die beiden außer mir angemeldeten Österreicher über Nacht ausgefallen waren, startete ich am nächsten Morgen allein mit Leucadio in dichtem Nebel und Hagelschauern den Anstieg zum Basislager auf 5200m. Über Nachmittag hob sich die Wolkendecke und gab den Blick auf den uns bevorstehenden Weg frei: ein steiler Aufstieg durch verspaltete Gletscherfelder. Wie man mich in der Agentur vorgewarnt hatte, genießen nur etwa die Hälfte der Besteigungen das Gipfelglück.
Gegen Abend erhob sich ein infernalischer Wind; früh in den Schlafsack gekrochen, lauschte ich schlaflos in die Nacht. Kurz vor Mitternacht, kurz vor unserem Aufstehen legte sich zauberhaft der Sturm, und gegen ein Uhr leuchtete uns ein heller Mond den Weg durch die nächtlich träumenden Gletscherabbrüche. Der gefürchtete Höhen-Kopfschmerz blieb mir erspart, nur eine leichte Übelkeit, die ich in einem Liter Cola ertränkte, und Atemnot, die mich, nicht aber meinen 52jährigen Bergführer an steilen Stellen alle Hundert Meter zum Innehalten zwang.
Noch vor Sonnenaufgang erreichten wir über einen schmalen, vereisten Grat den Gipfel. Berge heilen Sehnsucht: es ist wahr, daß „über den Wolken“ unsere Maßstäbe sich relativieren, daß man sich freier, dem Leben näher fühlt.

Beim nachmittäglichen Abstieg vom Basislager holte uns das längst mit Blitzen am Horizont drohende Gewitter ein und begleitete uns wieder mit ausdauerndem Hagelschauer. Auch die 1,5stündige Rückfahrt nach La Paz gestaltete sich interessant: in einer engen Kurve der Schotterstraße ein kräftiger Frontalzusammenstoß mit dem zu schnell entgegenkommenden Auto, die Fahrer verlassen durch die klemmenden Vordertüren ihre Fahrzeuge und gehen zunächst mit Fäusten aufeinander los. Nach einiger Diskussion und bedrückter Schadensbegutachtung einigt man sich geradezu herzlich. Eine spannende Lektion bolivianischer Konfliktbewältigung und das Ende eines ereignisreichen Tages.

A deep dive into Bolivia

Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in den Süden des Landes, zur weißen Salzwüste des Salar de Uyuni, über die Lagunenroute mit ihren weiß, grün, rosa und tiefrot schillernden Seen und Scharen von Flamingos durch die unbewohnte Hochwüste bis an die chilenische Grenze. Wir erlebten Potosi, einst die reichste Stadt der Welt, deren Aufstieg und Fall E.Galeano in seinem Opus Magnum paradigmatisch 30 Seiten widmet: einst von prächtigen Villen gesäumte silbergepflasterte Straßen, heute in drückende Armut verfallen und einsam in der Tiefe des Schicksalsberges Cerro Rico mit Hammer und Pickel Spuren von Restsilber schürfende Verzweifelte – Beckett’s Welt. Abends aber trafen wir in den Straßen auf fröhliche, ausgelassen tanzende Gruppen junger Menschen, eben trotz allem. Vom Pferderücken aus erkundeten wir die surrealistischen Felslandschaften im tiefen Süden bei Tupiza. Nach einer rasanten Fahrradabfahrt über die berüchtigte Todesstraße, einer auf 65km steil und ungesichert von 4600m auf 1500m in die reiche Vegetation der Yungas abfallenden Schotter-Straße, ließen wir unsere Rundreise in Coroico unter Palmen und lianenverhangenen Wäldern ausklingen.
Für einen Bericht über unsere gemeinsame Zeit konnte ich meinen Bruder Andrej gewinnen.

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Wer eine Reise macht, der hat etwas zu erzählen. Um in die Ehre eines Gastbeitrags auf welterfahren.com zu kommen, muß man das Unterfangen auf sich nehmen, Simon 12 Tage auf seinen Abenteuern zu begleiten.
Mancher Leser mag wie ich im Geist ‚Reisen‘ als Synonym für ‚Urlaub‘ betrachten. Während Simon sich derzeit der globalen Entdeckung widmet, fokussiere ich mich eher auf die lokale Wertschöpfung. Reisen hat bei mir nur als erholsame Abwechslung einen Platz – voller Annehmlichkeiten und Service mit dem Ziel der Entspannung und moderat neuen Eindrücken. Diese Art von Reisen ist komfortabel – aber auch austauschbar. Die Hotels in Paris, Malta oder Oslo unterscheiden sich nicht grundlegend. Simon’s Reisen dagegen stehen unter dem Motto der ‚street-credibility‘, des authentischen Nachvollziehens fremder Kulturen und Lebensweisen.
Das fordert Kompromisse, zeitlich, gesundheitlich und im Lebensstandard. Als Leser dieses Blogs sind wir alle von den farbenprächtigen Fotos, munteren Reiseberichten aus der Ferne und dem ansteckenden Freiheitsbewußtsein unseres jungen Abenteurers fasziniert und inspiriert. Der Energieaufwand und die Opfer, die ein solches Leben-on-the-go fordern, verlieren wir dabei gerne aus den Augen.

In meinem Beitrag eines Außenstehenden, der nur vorübergehend in dieses Erlebnis eintauchte, möchte ich daher auf ein paar dieser Besonderheiten spezifisch in Bolivien eingehen.

Zeit
Nirgendwo ist die Relativität der Zeit plastischer zu erleben als in Bolivien. Unsere Uhren aus (unberechtigter) Angst vor Kriminalität zuhause lassend, waren wir vor Ort Spielball der lokalen Zeitdefinition. Eine illustrierende Geschichte: Wir waren gerade von einem 3-Tagestrip über den weltgrößten Salzsee, Lagunen und spektakuläre Felslandschaft nach Uyuni, einer kleinen Wüstenstadt, zurückgekommen und planten unsere Weiterreise nach Potosi.
Nach erster Auskunft fuhr der nächste Bus um 7 Uhr. Wir begaben uns in ein Restaurant, mein Handy zeigte 6 Uhr. Die Kellnerin trieb uns jedoch zur Eile an mit ihrer Zeitangabe von 6.20 Uhr. In großer Hast zurück zum Busbahnhof schockte uns dort der Bahnhofsturm: 7.25 Uhr! Die Uhr im Ticketbüro sorgte wiederum für Beruhigung, der Zeiger stand auf 6.55 Uhr. Die offizielle Busabfahrt war nun doch für 7.10 Uhr geplant, vom Bus zu diesem Zeitpunkt jedoch weit und breit keine Spur. Letztlich erst gegen 7.40 Uhr machte sich der Bus auf den Weg nach Potosi.
Während in Europa Zeit in nüchterne Maßeinheiten eingegliedert ist, wird in Bolivien Zeit noch demokratisch definiert.

Hygiene
Meine kleine sterile Londoner Office-Welt hinter mir lassend, traf mich der markanteste Schock angesichts der hiesigen Armut.
Das Leben spielt sich in Bolivien auf der Straße ab. Marktstände an allen Ecken, Essensverkauf und Verzehr, Familientreffen, spielende Kleinkinder und herumstreunende Straßenhunde – ein buntes Treiben direkt neben den beißenden Abgasen und dem tosenden Lärm des Verkehrschaos. Mehrere Tage unserer Reise außerhalb der Großstädte mußten wir ohne fließend Wasser auskommen. Das Plumsklo ist in vielen Gegenden ein derartiger Luxus, das man zur Benutzung Eintritt zahlen muß.
Jedes Essen stellt ein Wagnis dar – ein Wagnis, das sich oft genug nicht bezahlt macht.

Natur
Während das ursprüngliche Ungetüm Natur in Europa weitestgehend domestiziert ist und eher noch aus Mitleid bei manchen Lobbygruppen Unterstützung findet, wird Bolivien von der Natur beherrscht. Das Land ist groß und geographisch herausfordernd. Auf einer Fläche, die viermal so groß ist wie Deutschland, leben rund 10 Millionen Einwohner. Bolivien ist zwiegespalten in ein Hochplateau auf rund 3500 Meter und einer vom Regenwald besetzten Tiefebene. 80% der Bevölkerung Boliviens leben höher als die deutsche Zugspitze.
Eine Infrastruktur läßt sich hier nur schwer aufbauen. Das Land gilt als unregierbar. Vor der aktuellen Regierung gab es in 99 Jahren 100 verschiedene Präsidenten. Nachdem Simon Bolivar 1824 namensgebend Bolivien von der spanischen Besatzung befreite, ging jeder spätere Krieg gegen Nachbarstaaten verloren.
Dennoch – die erhabene Schönheit der Natur und mit die größte Ressourcen-Schatzkammer der Erde verführen die Menschen, sich hier ein karges und erschöpfendes Leben zu ertrotzen.

Als Reisender erbringt man diese Opfer und Strapazen tatsächlich gerne – sie sind leicht vergessen im Anblick der erstaunlichen Naturschauspiele, sei es der überwältigenden Salzwüste, der mysteriösen Geysire, der bizzaren Felslandschaft um Tupiza oder des zauberhaften Arbol de Piedra.

Während meine Mutter und ich uns nun wieder auf den 23 Stunden Flug nach Hause begeben haben, erobert Simon weiterhin erlebnishungrig Südamerika. Meter für Meter.

Andrej Kuttruf