Die letzte Etappe: ausgedehnte Heidelandschaft bei Münsingen, eine letzte Zeltnacht auf einer Wiese am Waldrand kurz vor Bad Urach, und am nächsten Tag erreichte ich mit einer Viertelstunde Verspätung die Burkhardtsmühle, von wo aus liebe Freunde mich auf dem letzten Stück Heimweg eskortierten. Es erwartete mich, den Heimkehrer, ein herzlicher Empfang, die Eltern, Freunde, Bekannte, Nachbarn – ich war angekommen, nach 14 Monaten, 14.224km und 163.718 Höhenmetern auf dem Fahrrad war ich wieder zuhause!
Für die Aufnahmen zu diesem Beitrag danke ich Annegret und Julia.
Seit Ulm 122km und 1.104 Höhenmeter, seit Madrid 3.186km und 36.893 Höhenmeter.
Im Vorfeld der Reise, vor gut 14 Monaten, habe ich mit dem deutschen Botschafter in Kolumbien telephoniert, um zu fragen, ob man das machen kann – eine Raddurchquerung Südamerikas: „keine gute Idee“. Diese Unternehmung wurde eine der besten Ideen meines Lebens.
Ich bin ziemlich unbedarft aufgebrochen, ohne viel von dem zu wissen, was mich erwartete, ohne von den Ländern mehr zu kennen als ihre statistischen Eckdaten. Der Großteil der touristischen Reisebuchliteratur beschäftigt sich mit der Beschreibung von historischen Bauten und den klassifizierten Sehenswürdigkeiten. Das war nicht, wofür ich mein geordnetes Leben hier zurückließ. Ich wollte ein Stück anderer Welt erfahren, ein Stück mehr von der Palette des Lebens.
Auf ein solches Vorhaben kann man sich nicht vorbereiten, ich wuchs da hinein: We grow with the challenges we take, we grow when we dare (Stay hungry, stay foolish).
Und ich hatte Glück, so eine seltsame Art Dauerglück für 14 Monate. Nie hätte ich mir einen Begriff gemacht von der Offenheit, Aufrichtigkeit und Herzlichkeit der Leute, die ich traf auf meinem Weg. Ich traf Fremde auf der Straße, die mich aufnahmen und ihr Leben mit mir teilten, Dorfgemeinschafen, die mich zu ihre Festen einluden (Dancer in the Dark, La Corrida, High Falls), einen Grenzpolizisten, der bereit war, mich über eine geschlossene Grenzstation nach Argentinien zu schleusen, ein equatorianisches Paar, das mir, als ich bargeldlos in einem Dschungeldorf strandete, Geld für die Etappe zur nächsten Kleinstadt schenkte, einen argentinischen Fahrradmechaniker, der mit mir zwei Stunden lang den blockierten Freilauf zerlegte, Vorüberfahrende, die mir aus dem Autofenster Cola-Dosen reichten, Straßenarbeiter, die unbedingt mit mir photographiert werden wollten. Ich könnte diese Aufzählung endlos fortsetzen; von vielen dieser Begegnungen hat mein Blog erzählt.
Ich sah harte Armut, Bambushütten, Häuser ohne Fußboden, Dörfer ohne Wasseranschluß, Kleinstädte umgeben von Plastikmüll, den jeder Regen durch die schlammigen Straßen spülte, ich sah die Arroganz der Reichen in ihren schwer bewachten Villenvororten, ich sah die Rücksichtslosigkeit, mit der Minengesellschaften das Lebensumfeld der lokalen Bevölkerung für immer zerstören. Ich sah die Jagd auf die letzten Reserven in der Unberührtheit am Ende der Welt, den Ölrausch im patagonischen Río Grande.
In diesen letzten beiden Monaten, in denen ich von Madrid aus durch Europa nach Musberg radelte, hatte ich oft den Eindruck, daß das Leben hier um belanglose Luxusprobleme kreist, daß der westliche Lebensstandard, dessen Verheißungen die Konsumindustrie propagiert und dessen verheerende Auswirkungen ich kennengelernt hatte, nicht glücklicher macht. Das offene Lachen, das mir aus den Gesichtern am Rand der staubigen Pisten oft entgegengeleuchtet hatte, war seltener geworden.
Als Radreisender hat man leichtes Gepäck.
Ich lernte, daß es sich lohnt, mit Erfahrungen statt mit Dingen zu leben. Daß es sich lohnt, leichter zu leben. Fortsetzung folgt.