Kategorie-Archiv: Spanien

Die westlichen Pyrenäen

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Kurz nach dem kleinen Pass Lerga sah ich zum ersten Mal, mit nicht geringem Schrecken, die weiße Kulisse der Pyrenäen in der Ferne aufragen. Ich hatte mit einer solchen Schneedecke um diese Jahreszeit nicht mehr gerechnet und konnte nur hoffen, daß die tunnellosen Übergänge, die ich fahren wollte, bereits geräumt waren.
Eine unliebsame Überraschung war die unangekündigte Sperrung der Uferstraße am Stausee Yesa; der Wachmann an der Absperrung riet mir zu einer Umfahrung am anderen Ufer, ein Umweg von etwa zwei Tagen. Da man sich als Radfahrer in Europa ohnehin meist in rechtlichen Grauzonen bewegt (Warnweste?, Helmpflicht?), wählte ich stattdessen für 8km den Standstreifen der parallel verlaufenden Autobahn. Das für jeglichen Verkehr gesperrte Nordufer bot mir nun, von der anderen Seite her kommend, wunderbare, ungestörte Zeltmöglichkeiten, und ich verbrachte zwei Nächte auf einer Steilklippe über dem tiefblauen Wasser. Die am Ufer liegenden Dörfer, obwohl noch auf der Karte verzeichnet, sind seit der Landnahme des Stausees-Projekts verlassen; in den kommenden Jahren soll der See gegen den Widerstand der örtlichen Bevölkerung weiter vergrößert werden, um die Trinkwasserversorgung Zaragozas sicherzustellen.
Im Tal des Rio Esca schraubte ich mich stetig aufwärts, eine Nacht noch auf einer Almwiese, bevor ich gegen einen eisigen Frontalwind die letzten Kehren zum Col de St.Martin auf 1773m in Angriff nahm. Fröstelnde, leichtbekleidete Rennradler überholten mich auf den letzten Kilometern, am Pass traf ich den freundlich lachenden Franzosen Pierre, der mir eine wunderschöne, steile Waldabfahrt empfahl: der Frühling hatte mich wieder, Wassergeplätscher und Vogelgezwitscher, wärmender Sonnenscheini auf den französischen Auen. Am nächsten Tag schon, früh geweckt von einer Wandergruppe, erreichte ich nach einigem Auf und Ab im hügeligen Vorland der Pyrenäen Lourdes.
Seit Burgos habe ich 507km und 6.282 Höhenmeter zurückgelegt.
Karte folgt.

¡Buen Camino!

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It turned out that the picturesque town of Burgos had a nice library which made my stay longer than expected. I’d be there in the morning when it opened and in the evening until it closed, reading about two books a day: H.Schultz’s touching narrative about his turnover of Starbucks, books about entrepreneurship and marketing, and about „what Einstein may have told his hairdresser“, an interesting collection of the intricate questions of daily life (like what to do when in a falling lift). Burgos happens to be on the main track of the famous pilgrim route to Santiago de Compostela. That is a route from the South of France through the North of Spain, about 800km for about 40 days. You collect stamps all along the way in the accomodation facilities and the visiting spots and when you arrive Santiago with enough stamps you get a certificate in your language (if you did the camino „for private reasons“) or in latin (if you did it „for religious reasons“). That’s how the pilgrim system works.
One sunny afternoon, I stood in one of the lovely little pedestrian streets, when a man, for his accent an Austrian, came by in a rush shouting „¿peregrino, peregrino? ¿albergue, albergue?“ He immediately hastened away into the direction I pointed him to. This was my first encounter with a pilgrim in action. For two days in the lovely green hillsides (that is, upwards and downwards) to Logroño and Estella, I should meet more people than on the countryside of Southamerica in a whole year: friendly people of all ages and nationalities, struggling with the sun, moaning about theirs blebs, gathering in groups or solely. „You go in the wrong direction! Aren’t you on the camino?“ – „I’m just cycling here.“
While I respect them for their outdoor activity, I personally don’t share their preference to go for the beaten track: walking in the crowd, on a predefined way, in a prescribed direction, seeing preconceived things, sleeping in completely organized places. In Estella, I even spent a night in a pilgrim’s hostal, just for the experience. Light was eclipsed with the sun at 10 o’clock, the first left at 6 o’clock the next morning. With 40 snarkling people in one room, it was not the best sleep night of my life, but the atmosphere was pleasant: the home was run by a team of mentally impaired people who invited me for their pasta dinner – they had cooked about twice too much – and we spent a very funny evening.

Im Baskenland

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Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ „Oh!“ sagte Herr K. und erbleichte.
B.Brecht, Das Wiedersehen

In Burgos, vor der prächtigen Kulisse der Kathedrale, traf ich meine Eltern, begegnete ich nach Jahr und Tag meinem Vater wieder.
Wer könnte einen solchen Moment beschreiben? Alles war anders und alles war vertraut. All die Erfahrungen, die Begegnungen, das Gelebte seither – welche Spuren hinterläßt es, wie verändert es einen? Inwieweit entspricht einer noch dem Bild, das der andere sich in der Zwischenzeit bewahrt hat? Und das sich im Lauf der Tage und Wochen und Monate selbst gewandelt hat? Wie verhält man sich zu dieser Differenz? Was knüpft an, was setzt sich fort? Das sind nicht Fragen die sich stellen, sondern Fragen deren Antworten sich ergeben.
– Wir verbrachten heitere, unbeschwerte Tage des Erzählens und Nachholens, Tage, in die kaum ein Schatten der ungewissen Zukunft fiel. Wir genossen den spanischen Frühling, wandernd in den Gipfeln der Picos de Europa, spazierend entlang der steil in den Atlantik abfallenden Felsküste.
Am Vormittag unseres vorläufigen Abschieds in Bilbao besuchten wir das Guggenheim-Museum. Dieses Museum stellt, abgesehen von ein bißchen Konzeptkunst, vor allem sich selbst aus: den spektakulären, überwältigend verschachtelten, vielperspektivischen Bau des amerikanischen Architekten F.Gehry. Wer die Komplikationen kennt, die schon ein einfacher Umbau des Eigenheims verursachen kann, den wird besonders beeindrucken, daß ein solches Jahrhundert-Projekt plangemäß in vierjähriger Bauzeit und im Budgetrahmen fertiggestellt wurde.
Nach dem Abschied am Flughafen kehrte ich für einige Tage nach Burgos zurück.

Europa wieder

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Nach zwölfstündigem Flug und 10.000 Kilometern landet der Airbus A340 komplikationslos in Madrid, und um 17.30 Uhr Ortszeit betrete ich erstmals wieder europäischen Boden. Noch am Flughafen befreie ich das zerlegte Fahrrad aus dem Karton und fahre nach 1,5stündiger Montage in die Innenstadt. Es ist dort der Tag des Buches und des Champions League-Spiels München gegen Madrid.
Wie fühlt es sich, wieder in Europa zu sein? Der erwartete Kultur- ist zunächst vor allem ein Preisschock – alles genau dreimal so teuer wie noch in Argentinien, und für alles muß gelöhnt werden: vom Gepäckwagen am Flughafen bis zum Lächeln des Kellners, der mir später im thailändischen Restauant ein vegetarisches Essen serviert, so delikat wie ich es auf dem Kontinent der Carnivoren seit Ricardos Abschiedsmahl in Santiago nicht mehr hatte. Schwierig eine Unterkunft zu finden, die mich mit dem Fahrrad aufnimmt: die Leute leben in Sorge um ihre tapezierten Wände.
Beim Abendspaziergang durch die Innenstadt komme ich mir vor wie in einer niedlichen Spielzeugwelt: gediegene Fassaden, alles so sauber, die Trottoirs ohne Ausschau nach Löchern und Brettern gefahrlos begehbar, fein gekleidete, dezent parfümierte Passanten, die mit putzigen Chihuahuas aus makellos glänzenden Autos steigen, gern zur Schau getragener Wohlstand, fancy stuff.
Am nächsten Tag besuche ich eine Ausstellung über Pixar, die Firma, die in den 80er Jahren mit den ersten klotzigen Animationsfilmen begann und von S.Jobs an Disney verkauft wurde. Ein Stück der Geschiche meiner Generation auch, die wir gerade noch eine Welt ohne die Omnipräsenz elektronischen Spielzeugs kannten. Den Nachmittag verbringe ich mit der vergeblichen Suche nach benzina blanca für meinen Benzinkocher: hier braucht man dazu wahlweise einen Waffenschein oder eine abgeschlosse Sprengmeister-Ausbildung.
Dann mache ich mich wieder auf den Weg, teilweise auf der Autobahn (Polizisten winken resolut, ich winke freundlich zurück) im Frühlingsregen sanft ansteigend bis zum 1500m-Pass bei Somosierra, dann über Land durch Kastilien bis Burgos. Unterwegs in den verfallenen Dörfern nette Unterhaltungen mit den Alten, die gelassen vor ihren Steinhäusern in der Sonne sitzen und von ihren Kindern erzählen, Kinder, die längst in die Städte oder zum Arbeiten nach Deutschland gezogen sind.
In Burgos, vor der prominenten Kulisse der Kathedrale, treffe ich herzlich meine Eltern, begegne nach Jahr und Tag meinem Vater, und alles war anders und alles war vertraut.