Kategorie-Archiv: Auf Deutsch

Texte auf Deutsch

Über hohe Berge

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Es war gut, nach den Tagen in den Wanderstiefeln wieder auf dem Rad zu sitzen. Es wurden lange Tage intensiver Eindrücke, Tage im schroffen Auf und Ab einsamer Bergpässe, Tage in Wolken und Sonne, Tage ganz mit mir selbst.
Das stetig ansteigende Tal des Utcubamba bei Leymebamba verlassend, schraubte sich die Straße in weiten Schwüngen hinauf in die kargen Höhen der Cordillera Calla Calla. Die peruanischen Bergstraßen sind viel gnädiger, weniger steil angelegt als die ecuatorianischen und zirkeln demütig die Hanglagen aus. Zuverlässig trug mich die Kraft meiner Beine aufwärts. Nur die einfallende Dämmerung stoppte mich auf 2700m, wo ich in einer Senke der sanft gewellten Weideflächen das Zelt aufschlug. Trotz der grau-rötlich drohenden Wolken blieb die Nacht trocken, wenn auch frisch; erst am nächsten Morgen begleitete der Regen meinen weiteren Aufstieg. Vereinzelt zeigten sich in dem dichten Nebel die schemenhaften Gestalten von leuchtend rot und blau gekleideten Milchbäuerinnen. Bei windigen 5°C überquerte ich den Pass auf 3600m und tauchte bald darauf unter der Wolkendecke hervor. Mir öffnete sich ein atemberaubender Ausblick: rostbraune Bergrücken, besprenkelt mit Sonnenflecken, in der Ferne blau-weiß leuchtende gewaltige Bergketten. Es war eine 30km lange Abfahrt auf einer schmalen, ungesicherten, aber glücklicherweise kaum befahrenen Straße ins tief eingeschnittene Tal meines alten Bekannten Río Marañon. Nach der Brücke bei Balsas auf 950m ü.M. dann bei nachmittäglichen 35°C der Gegenanstieg durch Fels und trockene Kakteenhaine. Das von einem zentralen Kanal bewässerte grüne Mittelband des Bergs war hier allerdings intensiv bestellt und gleichmäßig besiedelt; erst gegen 19Uhr in der Dunkelheit, nach 10,5h im Sattel (davon 2h photographierend), fand ich neben einem kleinen Pfad einen ebenen Platz im Gesträuch für das Zelt.
Früh um halb acht war ich bereits wieder auf der Erdpiste, doch die Sonne holte mich bald ein. Für meine letzten 3Soles Bargeldreserven kaufte ich eine Flasche Wasser gegen den brennenden Durst, und erklomm den letzten Pass auf 3000m vor der Provinzhauptstadt Celendin. Unter dem blauen Himmel grüßte noch einmal die bewältigte Cordillera, auf der anderen Seite 300m unter mir die Stadt, und ich hatte unvermittelt das Gefühl, mit mir und der Welt ganz im reinen, im richtigen Projekt zu sein.
Ich verbrachte anderthalb entspannte Tage in Celendin, mit frischem Geld schlendernd auf dem Markt, zwischen Frucht-, Saft-, Gebäck- und Gemüseständen nach der frugalen Brot- und Bananenkost der zurückliegenden Tage meinen großen Hunger stillend. Zum ersten Mal sah ich hier die für die Region typische Hutmode.
Mit regenerierten Reserven und repariertem Schutzblech und Vorderlicht fuhr ich weiter nach Cajamarca, die Hauptstadt des gleichnamigen Departamentos: durch schweizerisch anmutende Hügellandschaft bis zum Pass auf 3750m, dann auf rauhem Schotter wieder abwärts auf 2750m. Im Dämmerlicht durchquerte ich nach Encanada eine Hochebene von unvergleichlicher Zartheit, am Rand der pfeilgeraden Straße still sitzende Frauengestalten, ruhig wartend auf Nichts. Gegen 19Uhr war ich im Verkehrschaos der trostlosen Stadteinfahrt. Noch immer scheint hier das brutale Gemetzel spürbar, in dem die wortbrüchigen Konquistadoren 1532 unter Pizarro 5000 Inkas und den letzten Inkakönig Atahualpa hinrichteten.
Seit Bagua Grande hatte ich 447km und 7900 Höhenmeter zurückgelegt.

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Days off in Bagua Grande

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Entkräftet sank ich ins Bett. Ich sollte es für die kommenden 32 Stunden nicht mehr verlassen.
In Stunde 24 schlug endlich das eingenommene Antibiotikum an, stillte das lähmende Fieber, linderte den Schmerz meiner geschwollenen Mandeln. Ich spürte, wie von Stunde zu Stunde die Energie in meinen Körper zurückströmte. Die beiden folgenden Genesungstage taten mir wohl, zwischen den Fruchtsaftständen der Kleinstadt schlendernd, lesend, nachdenkend. An einem Abend lernte ich Juan und Martin kennen, die beiden hingebungsvollen Lehrer der escuela christiana de liderazgo, einer privat getragenen Bildungsinitiative mit Abendkursen in Recht, Ökonomie (des freien Marktes) und Philosophie; ihrer Einladung zu einem Gastbeitrag konnte ich nicht widerstehen. So fand ich mich gestern Abend mit einem kurzerhand vorbereiteten Vortrag einer kleinen Gruppe von Gymnasiasten gegenüber, eine gute Stunde später nochmals einem noch um 22Uhr gut besuchten Gemeindesaal. Ich sprach über die Struktur der deutschen Wirtschaft, über die Hartz-Reformen von 2005, über die deutsche Außenhandelsbilanz, die dritthöchste weltweit (USA? Mit minus 561 Milliarden Dollar unter den Schlußlichtern: die USA werden den Dollar stark abwerten…). Ich gestehe, daß nie eines meiner Referate, auch nicht in der Münchner Fächerfakultät, mit einem solchen geradezu beschämenden Respekt und Interesse aufgenommen worden war. Mit Händeschütteln wurde ich von jedem einzelnen Zuhörer verabschiedet; in Juan und Martin habe ich zwei Freunde gewonnen, denen ich mit ihrem ambitionierten Projekt alles Gute wünche.
Heute bin ich Richtung Chachapoyas weitergeradelt, im tief eingeschnittenen Tal bei 40°C stetig ansteigend zu angenehmeren Temperaturen. Nach einer Schotterkurve begegnete ich drei als Sicherheitsleuten verkleideten Männern, die für ihre vorgebliche Leistung Wegegeld einforderten. Wie einige ebenfalls gestoppte Autos gab ich ihnen einige Soles und setzte meinen Weg nach Pedro Ruiz ungestört fort. Dort traf ich in den Abendstunden — Ron wieder.

Durch das peruanische Hinterland

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Wir starteten in der Mittagshitze aus dem festlich geschmückten Grenzdorf Namballe mit einem langen Anstieg von 700m auf 1600m; nach der Woche auf Schotter wußten wir den Asphaltbelag zu schätzen. Ein letztes Mal grüßten die ecuatorianischen Berge in der Ferne, bevor uns Peru mit großer Herzlichkeit aufnahm: eine Frau lief auf uns zu und schenkte Bananen, Passanten riefen bienvenido gringos! Beschwingt erreichten wir abends San Ignacio.
Mein Mitfahrer Ron entschwand wie er gekommen war: ich unterhielt mich am nächsten Morgen mit einer anmutigen Kindergruppe am Wegesrand, schuhlos aber mit strahlenden Gesichtern, optimistisch und von einer rührenden Wißbegierde, während Ron weiterfuhr. Nach einigen Kilometern geriet ich in die 40minütige Warteschleife einer Baustelle; Ron ward nicht mehr gesehen… Es war eine lange Schotter-Abfahrt ins Tal des Mayo, eines breiten Stroms, der entlang des Uferbandes zur Bewässerung ausgedehnter, leuchtend grüner Reisfelder in dem sonst heißen ariden Klima verwendet wird. Die Bewohner kleiner, durch Schiffsbrücken mit der Schotterstraße verbundener Dörfer badeten und fischten, Bauarbeiter langer Bauabschnitte grüßten lachend, Felder wiegten ihre grünen Halme im Wind, Sonnenlicht färbte kantig strukturierten Fels erst golden dann rot, bis ich nach Tamburapa kam: ein Straßendorf, dessen Häuser noch keinen Stromanschluß haben, das am nächsten Morgen temporär auch von der Wasserversorgung abgeschnitten war. Ein ruhiges einfaches Leben mit dem natürlichen Wechsel von Licht und Dunkelheit, das ich dank der liebenswürdigen Einladung meines Herbergsvaters Grimaldo für einen Tag und eine weitere Nacht teilen durfte.
Eine auffiebernde Mandelinfektion und die Erschöpfung meiner Bargeldreserven trieben mich weiter: ich passierte die Hauptstadt Jaen der gleichnamigen Provinz, der ich keine Gelegenheit geben wollte, ihrem Ruf gewaltsamer Straßenkriminalität gerecht zu werden, und gelangte am späten Nachmittag nach Chamayo auf nur 450m ü.n.N. Wider Erwarten bestand dieser Ort aus nicht mehr als einigen staubigen Häusern an der Kreuzung der Straße zur Küste, nach Chiclayo, und in den Oriente, nach Tarapoto. Was tun? Ich konnte meinem fiebrigen Zustand keine Nacht im Zelt zumuten; es blieb mir nichts anderes übrig, als die 50km zur nächstgrößeren Stadt, Bagua Grande, weiterzuradeln. Es wurde eine der eindrucksvollsten und aufreibendsten Etappen meiner Reise.
Die Straße folgte dem Wüstental des jungen Marañon, dem Fluß, der das gesamte Departamento Amazonas durchquert, und dann zusammen mit dem Ucayali den Amazonas bildet. Ich tauchte ein in die flirrende Hitze trockener 40°C, das unwirkliche türkise Band des Flußes inmitten einer Symphonie von Brauntönen, karge Steinlandschaft und einige verlassene Kakteen unter blauem Himmel und kreisenden gallinasos, absolute Stille, nur das Geräusch der auf Asphalt rollenden Reifen und der heiße Wind im Gesicht. Dann weiches Sonnenlicht auf Savannenbewuchs, eine in Wellen ansteigende, schnurgerade Straße, später vollmonderhellte Dunkelheit. Ich spürte, daß ich fiebrig auf meinen letzten Energiereserven fuhr. The race is not always to the swift but to those who keep on running. Gegen 19.45 erreichte ich Bagua Grande und steuerte das erste Hostel an, das ich fand.
MapBaguaGrande
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Über Grenzen

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Vilcabamba liegt zwar auf gemäßigten 1500m, ist aber ringsum von hohen Bergen umgeben. Nach einem ausgedehnten Abschied konnte ich den langen Aufstieg zur Wasserscheide des Kontinents erst am nächsten Tag von Yangana im Nachbartal aus angehen: vorbei an sandigen Bergabbrüchen, deren sanfte güne Bewaldung bis zum Pass auf 2800m stetig in den kargeren Moosbewuchs der Paramó-Region überging. Immer wieder begegneten mir die selben freundlich grüßenden Truckfahrer, mal schwer mit Schutt beladen, mal unbeladen; allerdings waren die Straßenarbeiten auf der anderen Seite der Wasserscheide noch nicht sehr weit vorgedrungen: schon auf halber Abfahrt, noch vor Valladolid, harte Schotter-, dann Sandpiste, immer wieder mit meterlangen Schlammpools durchsetzt. In den Abendstunden erreichte ich Palanda, wo ich auf dem zentralen Platz das Fahrrad unter den neugierigen Augen der gemütlich vor ihren Häusern sitzenden Bewohner von seiner zentimeterdicken Erdschicht befreite. Angesichts der Etappe am folgenden Tag war das eine provisorische, vergebliche Unternehmung: Schlammbäder wechselten sich ab mit erfrischenden Flußquerungen, während sich der Pfad mit einigen kräftigen Ausschlägen nach oben und unten um die 1100 Höhenmeter durch dichtes Grün schlängelte. Am Wegrand aus Brettern gezimmerte Behausungen, deren lachende Bewohner sich gerne auf kurze, freundliche Gespräche über den Straßenbau, ihre Lebensumstände und ihre politischen Erwartungen einließen. Ich stand gerade barfuß in der Mitte einer Bachquerung, als ein vorbeifahrender Lkw anhielt, mich grüßte und mir von seinen acht glücklichen Jahren im deutschen Transportwesen erzählte. Es machte mich froh, mit seinen begeisterten Augen auf mein Heimatland blicken zu können (auch wenn meine Füße anschließend Eisklötzen glichen).
20km vor meinem Tagesziel, Zumba, brach die Nacht herein, am überdachten Rand eines abgelegenen Fußballplatzes schlug ich mein Zelt auf, als auf der dunklen Straße, angekündigt durch Hundegebell im Dorf, die Schattengestalt eines Radfahrers langsam vorüberzog. Rufend („somos ciclistas, yo tambien, a donde vas, quedate conmigo„) rannte ich der gespenstischen Erscheinung für etwa hundert Meter hinterher, die aber stumm und unbeirrt ihren Weg fortsetzte. Ich saß vor dem Zelt und blickte in die Stille der Nacht, als sich die Gegend plötzlich belebte: unvermittelt umgab mich eine Heerschar von Kindern, Flutlicht-Scheinwerfer gingen an und unter tausend staunenden Fragen war ich eingeladen zu einer nächtlichen Fußballpartie. Herzlich war der Abschied und herzlich das Wiedersehen mit Wilmer und Paul am nächsten Morgen.
In Zumba traf ich Ron aus Colorado, das nächtliche Phantom, gemeinsam radelten wir das steinige Auf und Ab durch das einsame Land bis zum kleinen Grenzübergang bei La Balsa. Mit den Stempeln in unseren Pässen waren wir in Peru und glücklich auch wieder auf Asphalt.
Seit Loja: 204km und 4860 Höhenmeter aufwärts.

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Heimatgruß

Heute erreicht mich die Nachricht, daß eine Vorstellung meiner Unternehmung im Stuttgarter Wochenblatt gedruckt wurde. Ich freue mich sehr über das Interesse und, ja, die Anerkennung, die damit ein Projekt findet, das ich mir -eigensinnig- zunächst nur für mich auf den Lebenscanvas gezeichnet habe, das vor allem mein eigener, immer wieder neuer Aufbruch ins Ungewisse ist. Beim Lesen des Artikels hatte ich den Eindruck, ich würde auf meinem eigenen Gepäckträger mitfahren. Und als würde ich erneut aufbrechen… Ich danke der Autorin für ihre authentische und plastische Darstellung!
Ich nutze den Anlaß, auch dem Radschlag in Stuttgart-Vaihingen zu danken, der mich unterwegs unermüdbar mit technischen Hilfestellungen unterstützt – es ist von unschätzbarem Wert, daß ich mich auf das Fahrrad in jeder Situation absolut verlassen kann. Und ich danke euch Lesern für die wohltuende Anteilnahme und den Zuspruch!
Wenn es regnet, daß für Tage die Schuhe nicht mehr trocken werden, wenn der Aufstieg in sengender Hitze kein Ende nimmt, wenn die Abfahrt einem Schlammbad gleicht, wenn du mehr Geld für’s Toilettenpapier ausgibst als für’s Essen, wenn keiner deinen Gruß im Vorüberfahren erwidert – du mußt lieben was du tust. Ich liebe jeden einzelnen Meter.
Morgen weiter Richtung Süden.

1984

What about all the dreams
that you said were yours and mine

Vom fernen Europa dringen nur wenige Nachrichten in die hiesige Berichterstattung. Eine Nachricht, die hier große Aufregung erzeugt hat, war die erzwungene Landung des bolivianischen Präsidenten E.Morales vor genau einem Monat in Wien – eine diplomatische Ungeheuerlichkeit, die hier zurecht als Ausdruck von Mißtrauen und Geringschätzung verstanden wurde. Mich wundert, daß da nicht ein allgemeiner Aufschrei durch die Presse ging. Mich wundert, daß nicht ein einziges europäisches Land sich bereit findet, E.Snowden Asyl anzubieten, einem Mann, der nichts anderes verbrochen hat, als bestehende Überwachungspraktiken des Staats gegen seine Bürger von ungeahntem Ausmaß öffentlich und damit öffentlich diskutierbar gemacht zu haben. Und der dafür von einem Land, das den Ruf nach Freiheit zu seinem Gründungsmythos zählt, weithin unwidersprochen um die Welt gejagt wird. Mich wundert, daß J.Assange, der Verfechter der Transparenz, aufgrund obskurer Vorwürfe, letztlich in offenkundig politischer Motivation, seit mehr als einem Jahr Refugium nur in der ecuatorianischen Botschaft in London findet, dem letzten Hort der Freiheit in der westlichen Welt.
Allzu bereitwillig, wie mir scheint, ist das alternde Europa derzeit dabei, die bürgerliche Freiheit, die Freiheit des Einzelnen in der Gesellschaft, zugunsten einer gefühlten Sicherheit und gesellschaftlicher Bevormundung zu opfern. Das manifestiert sich in der moralingetränkten öffentlichen Hetzjagd, die den vorigen Bundespräsidenten aus dem Amt geschwemmt hat genauso, wie in der vor einiger Zeit eingeführten Helmpflicht auf italienischen Skipisten, im neuen französischen Gesetz gegen sexuelle Anzüglichkeiten am Arbeitsplatz („harcèlement moral“) wie im ängstlichen Festklammern an Funktionärskarrieren oder in der allgemeinen Empörung, überquert man in einer deutschen Stadt eine rote Fußgängerampel.
Trotz aller Sicherungssysteme ist Leben lebensgefährlich. Wir dürfen nicht vergessen, daß Leben nur im Frei- und Gestaltungsraum von Eigenverantwortung lebenswert ist.

Quieres que te diga lo que estoy pensando, Dime, Creo que no nos quedamos ciegos, creo que estamos ciegos, Ciegos que ven, Ciegos que, viendo, no ven.

Simon is 29

Cuenca, die Perle des Südens

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Von Mendez aus, eine Tagesetappe von Macas entfernt, unternahm ich eine fünfstündige Busfahrt nach Cuenca: um diese mit knapp einer halben Million Einwohner nach Guayaquil und Quito drittgrößte Stadt Ecuadors zu sehen, und auch, um mich mit einem Gaskocher unabhängiger von der hiesigen carnivorischen Küche zu machen, die mich bereits fünf krankheitsbedingte Ruhetage und fünf Gewichtskilo gekostet hat. Die Busfahrt war allerdings eine riskante Angelegenheit: mit schmelzend süßer Cumbia-Musik holperten wir auf der grob geschotterten Bergstraße rasant dahin, in engen Kurven langsamere Lastwagen überholend -immer freundlich grüßend, mit wilden Schlenkern Schlaglöchern ausweichend, zentimeternah vorbei an steilen Abgründen.
Die Zeit verging also kurzweilig und wohlbehalten erreichte der vollbesetzte Bus Cuenca, wo ich mich für einige Stunden ganz dem Zauber der Stadt überließ: den narrow streets of copplestone, dem Charme des Blumenmarkts, der Pracht der Kathedrale, der stolz zurückhaltenden Kolonialarchitektur der Andorra-weiß getünchten Altstadt-Häuser, dem erfrischenden Grün entlang des Río Tomebamba. Nach langer Suche in den einschlägigen Geschäften fand ich schließlich auch den Gaskocher.

Reise in ein Land vor unserer Zeit

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Nach einem weiteren Ruhe-Tag in der unaufgeregten Stadt Riobamba, „dem Sultan der Anden“, umgeben von den weißen Gipfeln des Chimborazo, des Altar und des Sangay, fand ich frühmorgens problemlos die ruhige Straße zu den Lagunas de Atillo auf 3530m, die dann den Parque National Sangay nach Macas auf 1000m durchquert. Diese Straße ist zu klein, um im Google-Universum gelistet zu sein. Sie führte mich aufwärts durch farbreich terrassierte Hügel in „ein Land vor unserer Zeit“: Frauen in rot und pink leuchtenden Gewändern Milchkübel tragend, Männer mit schweren Hacken furchenziehend. Die Idylle der grünen Wiesen wich kargeren Hängen in gedeckten Brauntönen, die sich im Dämmerlicht im Grau dichter Wolkenbänke verloren. Es regnete, das Thermometer fiel auf 7ºC, aber in gleichem Maß stieg die Freundlichkeit der Menschen am Wegesrand: für Momente blitzte sie wieder auf, die Offenheit, die Neugierde und Fröhlichkeit, die mir in Kolumbien immer wieder begegnet waren – „woher kommst Du? warum reist Du allein? suchst Du eine Freundin? schenkst Du mir Dein Rad?“ Ich nächtigte in einer der an den Hang geduckten einfachen Hütten mit den weit herabgezogenen Schilfdächern, die ich mir mit einem herzlichen Straßenarbeiter teilte.
Durchfroren nach einer etwas zugigen Nacht und in immer noch feuchten Schuhen passierte ich gegen 8Uhr am nächsten Morgen die Lagunen, ruhige wolkenverhangene Bergseen (mit A.Stifter: „Augen der Natur“), bevor ich auf der Ostseite der Sierra in sattes Grün hinabtauchte: dichter, moosbekleideter Baumbestand löste sich verwunschen aus den Nebelschwaden, durchsetzt mit Farnen und rauschenden Wasserfällen, ab 1200m dann auch mit einzelnen Palmen. Die letzten 25km bis 5km vor Macas waren allerdings Knochenarbeit: in langgezogener Gegensteigung auf einer grob geschotterten, von Erdrutschen stark malträtierten, schlaglochgespickten Straße. Hundertschaften von Bauarbeitern arbeiteten abschnittsweise an der Sicherung der erodierten Hangseiten, an der Kanalisation von Bachübergängen, an der Planierung und Asphaltierung des Kiesbetts, Dutzende von Lastwägen transportierten Steingut. Mir war nicht bewußt, was für ein Aufwand und eine ungeheure Leistung der Straßenbau ist; in Deutschland liegt die infrastrukturelle Erschließung ja auch schon zwei Generationen zurück. Hier wird zurecht stolz plakatiert: „tenemos carreteras de primera. tenemos patria.“
In starkem Regen erreichte ich schließlich nach 162km und 2442 Höhenmetern aufwärts (seit Riobamba) am späten Nachmittag das unspektakuläre Macas, wo ich den Abend damit zubrachte, das Fahrrad und die Ausrüstung wieder in einen fahrbereiten Zustand zu versetzen.

Courtesy of OSM http://www.opencyclemap.org/.

No Man’s Land

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Wir passierten die Polizeisperre der noch immer geschlossenen Verbindungsstraße nach Riobamba anstandslos: „Tienen una reserva en Penipe? De acuerdo. Pero cuidado!“ Stetig ansteigend, verlor sich die asphaltierte Fahrspur allerdings bald unter den bröckelnden Erdmassen, die die Schlammlawinen des zurückliegenden Ausbruchs hinterlassen hatten. Eine trostlose, unwirtliche Mondlandschaft, die der starke Regen nicht unbedingt gangbarer machte. Hinter einem der Moränenhügel trafen wir das von unserem Anblick völlig überraschte Fernsehteam des Nationalsenders Tele TC, das ein kurzes Interview mit den beiden radelnden gringos in die Abendnachrichten brachte. Einen gehörigen Schreck jagte uns das plötzlich einsetzende nahe Donnern ein, das uns dann, mal lauter, mal ferner, den gesamten Nachmittag über begleitete. Wir hatten am Morgen die unbedenklich lautenden Berichte der lokalen geophysikalischen Beobachtungsstation abgerufen; wie wir aber später erfuhren, hatte sich die vulkanische Aktivität im Tagesverlauf zur ‚orangenen Warnstufe‘ mit pyroklastischen Strömen verstärkt. Uns molestierte davon momentan nur der dichte Nebel und der in den Augen beißende Niederschlag feiner Aschenpartikel, die sich flockenartig auf unseren Jacken und Taschen sammelten. Wie in Trance folgten wir weiter dem Taleinschnitt, zur Linken das Donnern des Tungurahua, in der Mitte des Tals den durch den Regen der vergangenen Tage stark angeschwollenen Río Chambo, auf der rechten Seite steile Geröllhänge, die polternd Gesteinsbrocken hinabsandten. Inmitten dieser rumorenden Urgewalten vereinzelte Wohnhäuser, alle verlassen. Es war ein Anblick wie nach dem zeitlichen und räumlichen Ende der Welt, erhebend und gewaltig, es war ein Erlebnis, das einen das Leben intensiver spüren läßt.
In der Dunkelheit erreichten wir Penipe.
Siehe auch den Bericht von Andy for an english version of this adventure.


Stream Crossing: bitte auf Play klicken!


Falling rocks: Bitte auf Play klicken!

Map of road and pyroclastic flow around the Tungurahua (explosion of 14/07-13) (Source)

Tropenträume

Das ist die hohe Zeit der Tropenträume, / ein Flügelschlag nur bis zum Meer,
und alles, was ich jetzt versäume, / erreicht mich bis ins Grab nicht mehr.

Da wuchern wieder Kindheitsträume, / das Wunderland Calafia,
das ich erst spät durch dunkle Räume / im Rausch und Taumel wiedersah.

Es ist der alte Rausch der Meere, / der meine Fieberträume nährt.
Dahinter öffnet sich die Leere / und eine Stille, die verzehrt.

K. Wecker

Heute Morgen, nach drei Tagen leichten Fieberdeliriums und Kopfschmerzes, war ich beim Arzt, genauer bei drei auf die ganze Kleinstadt gleichmäßig verteilten Arztstationen: die erste empfängt erst wieder ab Mittwoch, der zweiten war der Teststoff ausgegangen, die dritte Station nur ein Laboratorium für Bluttests ohne ärztlichen Rat. Der wortkargen Labordame war tatsächlich nichts zu entlocken. Glücklicherweise konnte sich der medizinische Experte aus meinem Basislager spontan im Onlinechat zuschalten, um das Blutbild zu kommentieren: es handelt sich nicht um eine Malaria-, sondern um eine hartnäckige bakterielle Infektion.
Während der erzwungenen Auszeit las ich im Hostel das dort zufällig herumlungernde Buch rottenegg des Musikmoderators M.Kavka: eine leichtgewichtige Burleske über das Leben in der deutsch-bayrischen Provinz und ein nettes Stück Heimatnostalgie in der fernen Fremde.
Morgen geht’s weiter.