Nach einem weiteren Ruhe-Tag in der unaufgeregten Stadt Riobamba, „dem Sultan der Anden“, umgeben von den weißen Gipfeln des Chimborazo, des Altar und des Sangay, fand ich frühmorgens problemlos die ruhige Straße zu den Lagunas de Atillo auf 3530m, die dann den Parque National Sangay nach Macas auf 1000m durchquert. Diese Straße ist zu klein, um im Google-Universum gelistet zu sein. Sie führte mich aufwärts durch farbreich terrassierte Hügel in „ein Land vor unserer Zeit“: Frauen in rot und pink leuchtenden Gewändern Milchkübel tragend, Männer mit schweren Hacken furchenziehend. Die Idylle der grünen Wiesen wich kargeren Hängen in gedeckten Brauntönen, die sich im Dämmerlicht im Grau dichter Wolkenbänke verloren. Es regnete, das Thermometer fiel auf 7ºC, aber in gleichem Maß stieg die Freundlichkeit der Menschen am Wegesrand: für Momente blitzte sie wieder auf, die Offenheit, die Neugierde und Fröhlichkeit, die mir in Kolumbien immer wieder begegnet waren – „woher kommst Du? warum reist Du allein? suchst Du eine Freundin? schenkst Du mir Dein Rad?“ Ich nächtigte in einer der an den Hang geduckten einfachen Hütten mit den weit herabgezogenen Schilfdächern, die ich mir mit einem herzlichen Straßenarbeiter teilte.
Durchfroren nach einer etwas zugigen Nacht und in immer noch feuchten Schuhen passierte ich gegen 8Uhr am nächsten Morgen die Lagunen, ruhige wolkenverhangene Bergseen (mit A.Stifter: „Augen der Natur“), bevor ich auf der Ostseite der Sierra in sattes Grün hinabtauchte: dichter, moosbekleideter Baumbestand löste sich verwunschen aus den Nebelschwaden, durchsetzt mit Farnen und rauschenden Wasserfällen, ab 1200m dann auch mit einzelnen Palmen. Die letzten 25km bis 5km vor Macas waren allerdings Knochenarbeit: in langgezogener Gegensteigung auf einer grob geschotterten, von Erdrutschen stark malträtierten, schlaglochgespickten Straße. Hundertschaften von Bauarbeitern arbeiteten abschnittsweise an der Sicherung der erodierten Hangseiten, an der Kanalisation von Bachübergängen, an der Planierung und Asphaltierung des Kiesbetts, Dutzende von Lastwägen transportierten Steingut. Mir war nicht bewußt, was für ein Aufwand und eine ungeheure Leistung der Straßenbau ist; in Deutschland liegt die infrastrukturelle Erschließung ja auch schon zwei Generationen zurück. Hier wird zurecht stolz plakatiert: „tenemos carreteras de primera. tenemos patria.“
In starkem Regen erreichte ich schließlich nach 162km und 2442 Höhenmetern aufwärts (seit Riobamba) am späten Nachmittag das unspektakuläre Macas, wo ich den Abend damit zubrachte, das Fahrrad und die Ausrüstung wieder in einen fahrbereiten Zustand zu versetzen.
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