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Texte auf Deutsch

Baños

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In Latacunga haben wir uns für eine Exkursion nach Baños, den in jeder Hinsicht ‚westlichsten‘ Vorposten des ecuatorianischen Regenwalds entschieden, für uns ein Umweg von 60km und 2000 Höhenmetern. Aber was heißt ‚Umweg‘ auf einer Reise wie der unseren…
Baños, auf 1800m ü.N.N. am Fuß des aktiven Vulkans Tungurahua gelegen, ist eine ausgesprochen touristische Kleinstadt (18.000 native Einwohner), mit einer Vielzahl von Hostels, Touroperatoren und Pizzerien.
Um dem Rummel zu entrinnen, mieteten wir zwei Fahrräder für die urige Strecke zum Paílón del Diablo, einem gigantischen Wasserfall des Río Verde: nach zwei Kilometern zerlegte sich die Hinterradachse meines betagten Rads.
Trotz dieser durchwachsenen Erfahrung mit der Verläßlichkeit des hiesigen Materials, konnte ich später am Nachmittag, nach dem Rückmarsch nun auf einem neuen Bike, der Versuchung nicht widerstehen, ein Canopy am Weg auszuprobieren, ein 1km langes Drahtseil, das man kopfüber mit bis zu 90km/h in eine Schlucht hinabgleitet.
Unseren Aufbruch am nächsten Morgen verhinderte der neuerliche Ausbruch des Tungurahua: die Verbindungsstraße über Penipe nach Riobamba war vom Lavafluß betroffen und infolgedessen gesperrt. Leider konnten wir aufgrund der dichten Bewölkung bis auf einige Staubwirbel auch später am Abend bei einem Ausflug auf den höhergelegenen Aussichtspunkt de la Virgen nichts von den heißen Vorgängen sehen.
Zuletzt im Jahr 1999 war die gesamte Stadt wegen der starken seismischen Aktivität für mehr als 5 Monate evakuiert worden.
In einem freundlichen Gespräch mit einer ortsansässigen Caña-Verkäuferin bestätigte sich zumindest der erste Teil des häufig strapazierten Zitats von Alex Humboldt:
„Die Ecuadorianer sind seltsame und einmalige Wesen: sie schlafen ganz ruhig mitten unter knisternden Vulkanen, sie leben arm inmitten von unermesslichen Reichtümern und sie freuen sich über traurige Musik.“

Strandgedanken: like a swallow who learnt to fly

Ein ruhiger Nachmittag am Strand, ich liege auf dem Rücken in der Sonne und hänge meinen Gedanken nach. Hoch oben, ganz hoch oben, kreisen Vögel im Wind. Erst nach und nach ist mir in den vergangenen Wochen bewußt geworden, welche Freiheit ich mir für diese Reise genommen habe: ohne Verpflichtungen, nur für mich zu leben.

Vorbeiradelnd sah ich in Cartagena einen hellhäutigen Mann in voller Anzugsmontur vor seinem Hotel stehen, schwitzend bei 38ºC, aber mit ernster, wichtiger Miene. Anmaßender Europäerblick hinter der Sonnenbrille auf das Straßenchaos außerhalb des Stacheldrahtzauns. Offenkundig „nicht zum Vergnügen“ hier, sondern „beruflich„, um einen Liefervertrag für schnell nachwachsendes Guadua-Holz auszuhandeln vielleicht, oder die Marktchancen einer neuen Fastfood-Filiale abzuschätzen. Jedenfalls nicht zum persönlichen offenen Erfahren, sondern in einer bestimmten, ihm gesellschaftlich oder firmenintern übertragenen Rolle und Funktion. Die Ökonomie hier ist ganz anders strukturiert: nur wenige Großunternehmen, wenig geborgte Autorität, jeder ist – mit oder ohne Ausbildung – sein eigener Unternehmer: im Straßenverkauf von Arepas, Mangos oder Kokosnüssen, im Handel mit Konsumgütern wie in den zahlreichen drogerias rebajas, in der Produktion von Fensterrahmen aus Aluminium, in der Herstellung von handgenähten Poloshirts oder Hemden – Industrien, die ich im vergangenen Monat besichtigen durfte.
Das hängt, scheint mir, mit den verschiedenen gesellschaftlichen Bezugsgrößen zusammen: wir Europäer bilden uns so viel ein auf unseren Individualismus, haben aber eigentlich unsere Eigenverantwortung an die Gesellschaft abgetreten: Telefonieren auf dem Fahrrad wird mit 25€ geahndet, das Überqueren roter Ampeln verursacht generell einen moralisch entrüsteten Aufschrei der anderen vorgeblich um irgendeine Vorbildfunktion besorgten Passanten. Hier ist die gesellschaftliche Keimzelle nicht der Staat, sondern die Familie, die ihre Rollenerwartung konkreter, zugleich aber auch weniger absolut, flexibler, stellt.
Mittlerweile spüre ich auf meinem Rücken ein brennendes Rot zwischen dem Negativabdruck zweier Hände – wir Individualisten können uns nicht einmal gleichmäßig den Rücken eincremen!