Über den Wolken

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Nach dem Abschied von meiner Mutter, meinem Bruder, fühlte ich mich erstmals auf dieser Reise etwas verloren, etwas ziellos in der weiten Welt.
Noch am Nachmittag habe ich für den folgenden Tag die nur mit Bergführer zulässige Besteigung des Huayna Potosí gebucht, des weißen Riesen von 6088m, der mich schon beim Titicaca-See über die steinige Hochebene hinweg gegrüßt hatte.
Da die beiden außer mir angemeldeten Österreicher über Nacht ausgefallen waren, startete ich am nächsten Morgen allein mit Leucadio in dichtem Nebel und Hagelschauern den Anstieg zum Basislager auf 5200m. Über Nachmittag hob sich die Wolkendecke und gab den Blick auf den uns bevorstehenden Weg frei: ein steiler Aufstieg durch verspaltete Gletscherfelder. Wie man mich in der Agentur vorgewarnt hatte, genießen nur etwa die Hälfte der Besteigungen das Gipfelglück.
Gegen Abend erhob sich ein infernalischer Wind; früh in den Schlafsack gekrochen, lauschte ich schlaflos in die Nacht. Kurz vor Mitternacht, kurz vor unserem Aufstehen legte sich zauberhaft der Sturm, und gegen ein Uhr leuchtete uns ein heller Mond den Weg durch die nächtlich träumenden Gletscherabbrüche. Der gefürchtete Höhen-Kopfschmerz blieb mir erspart, nur eine leichte Übelkeit, die ich in einem Liter Cola ertränkte, und Atemnot, die mich, nicht aber meinen 52jährigen Bergführer an steilen Stellen alle Hundert Meter zum Innehalten zwang.
Noch vor Sonnenaufgang erreichten wir über einen schmalen, vereisten Grat den Gipfel. Berge heilen Sehnsucht: es ist wahr, daß „über den Wolken“ unsere Maßstäbe sich relativieren, daß man sich freier, dem Leben näher fühlt.

Beim nachmittäglichen Abstieg vom Basislager holte uns das längst mit Blitzen am Horizont drohende Gewitter ein und begleitete uns wieder mit ausdauerndem Hagelschauer. Auch die 1,5stündige Rückfahrt nach La Paz gestaltete sich interessant: in einer engen Kurve der Schotterstraße ein kräftiger Frontalzusammenstoß mit dem zu schnell entgegenkommenden Auto, die Fahrer verlassen durch die klemmenden Vordertüren ihre Fahrzeuge und gehen zunächst mit Fäusten aufeinander los. Nach einiger Diskussion und bedrückter Schadensbegutachtung einigt man sich geradezu herzlich. Eine spannende Lektion bolivianischer Konfliktbewältigung und das Ende eines ereignisreichen Tages.