Momos Puppe

Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
T.W. Adorno, Minima Moralia

Als Radreisender kennt man das Gewicht der Dinge, mit Wenigem auskommend, kennt man ihre Last.
Hier sind Dinge wieder wichtig; anders als die andinen Länder folgen die Chilenen unserem westlichen Dreischritt von Haus-Auto-Familie: sie fahren große europäische und amerikanische Markenautos, nouvelle gamme, tragen modische Sonnenbrillen und Schmuck, bestücken ihre Häuser mit dem Plastikschrott gigantischer Bildschirme, indes sich die Keller mit Altlasten füllen, mit Hausrat und Elektronikgerümpel, mit Adaptersteckern und Verbindungskabeln, mit Zeug, das einmal wieder nützlich sein könnte, wenn man es in dem Chaos wieder finden würde.
Dinge ziehen uns in ihr Universum, hüllen unser Leben in Watte, suggerieren uns Macht, weil wir sie bedienen, also beherrschen. Sie fordern nichts, nur das Wertvollste, das wir haben: Zeit. Wie Momos Puppe, das Danaer-Geschenk der grauen Herren, wollen sie Zuwendung: die wöchentliche Politur, das neue Update, die Überspielung der alten Kontaktdaten-Leichen – und vor allem: „mehr Sachen“, zum Handy das Plastikkleid, für die Ledersitze den Schonbezug. – Die Supermärkte hier haben 50 Kassen.
Auch kleinste Beträge werden bei Kreditkartenzahlung in quotas abgebucht, in schmerzlosen Monatszahlungen, die über Jahre hin weiterlaufen, wenn die Sachen, der erkaufte Glücksmoment, längst ersetzt und verbraucht sind. Die Leute verschulden sich so im Kaufrausch Mitte Zwanzig und rackern 10-15 Jahre, um sich aus der Falle wieder zu befreien. In Deutschland hat dieser Wahnsinn, mit der Einführung kaufhauseigener Kreditkarten, auch schon angefangen. Der Bankrott auf Raten.