Kategorie-Archiv: Vivencias

Bergetappe: Über den höchsten Pass Argentiniens

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It’s the paradox // That drives us on
It’s a battle of wills
It’s the passion that kills
The victory is yours alone
Burning Heart

Die Mühen der Ebene liegen hinter uns, vor uns liegen die Freuden der Berge.
Sehnsuchtsvoll hatte ich in der Hitze und eintönigen Monotonie der kargen Puna-Ebenen immer wieder zu den weiß bezuckerten Bergen am Horizont geblickt, ab Jachal auf 1200m begann dann der lange Anstieg, der mich am dritten Tag über den Anden-Pass Agua Negra, den höchsten Grenzübergang zwischen den beiden Ländern auf 4779m, nach Chile führen sollte.
Die erste Nacht zeltete ich am Seestrand des entspannten Hippiedorfs Rodeo, des besten Surfspots Argentiniens, dessen Wind in dieser Nacht seinem Ruhm durchaus gerecht wurde: ab 3 Uhr war mit ausgerissenen Zeltpolen an Schlaf nicht mehr zu denken, ich löste Exponentialintegrale. Die folgende Nacht, nun 1600m höher, war kaum besser: ich hatte in dem engen Bergeinschnitt auf dem einzig auffindbaren ebenen Platz abseits der Straße, auf einer Baustelle, das Zelt aufgeschlagen, am frühen Morgen um 7Uhr weckte mich der Lärm einer direkt auf mich zurollenden Planierraupe – Marcello und Carlos luden mich zum Mate-Frühstück, dem argentinischen Nationalgetränk, zu dessen Zubereitung jeder Argentinier immer eine Thermoskanne heißen Wassers bei sich führt.
Nach der Aufmerksamkeit zu urteilen, die mir von den Autofahrern an diesem Tag zuteil wurde, ist der Anblick eines mit dem geschotterten Steilhang ringenden Radlers hier nicht allzu gewöhnlich: ermunternde Zurufe, felicitationes!, Photoshootings und gereichte Äpfel und Orangen. Die hinreißende Schönheit der Landschaft ließ alles Leid vergessen: Wege in Wolkenwatte, Büßerschnee-Zackenformationen, Farbsymphonien in Rot- und Gelbtönen. Auf der chilenischen Seite, getreu den geologischen Schulmodellen, mischte sich ein zartes Grün in die intensive Farbpalette.
Ich hatte den Pass erst gegen 19Uhr erreicht und da ich die Nacht nicht unbedingt in dieser Höhe verbringen wollte, wählte ich eine steile Varianten-Abfahrt in grobem Schotter – im Mittel 10% Steigung auf 7km. Mit glühenden Bremsscheiben erreichte ich den grünen Talgrund.
Die chilenischen Behörden scheinen auf den Grenzverkehr nicht viel Wert zu legen: hartes Waschbrett im Wechsel mit kilometerlangen Schotterschwemmen kinderfaustgroßer Steine. Ich passierte am folgenden Tag allein vier mit Reifenpannen liegengebliebene Autos; mit Glück und Geduld, wenn auch mit schmerzenden Handgelenken, überstand ich die Etappe sturz- und pannenfrei. Ich erschrak allerdings über die staubgepuderte Maske, die mir am späten Nachmittag aus dem Spiegel der chilenischen Zollstation entgegenblickte.
Am nächsten Tag durchquerte ich Chile: die verbleibenden 140km von den Anden bis zur Küste. Ich war ohne Zweifel in der Schweiz Südamerikas – ab 1300m kompromisslos die felsigen Steinhänge hinaufgezogene Anbauflächen des vielgerühmten chilenischen Weins, in den aufgeräumten Läden entlang der stark befahrenen Straße nach La Serena gab es zum Mote con Huesillo tatsächlich deutschen kuchen! Am Abend schon genoß ich am Fonduestand bei einer freundlichen Unterhaltung auf der Plaza der Kleinstadt in Schokolade gebadete Früchte, eine sympathische Familie lud mich umgehend für den nächsten Tag zu einem typischen Gericht ein, dem berüchtigten Bohneneintopf Porote.
Seit Jachal habe ich 395km und 4570 Höhenmeter zurückgelegt.