Archiv für den Autor: skuttruf

Lourdes

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Von Westen her kommend radelte ich direkt ins Sanctuaire, dessen Grünanlage ich zunächst für eine kirchliche Geriatrie hielt. Rund um die Basilika war eine vielfarbige, vielsprachige Menschenmenge versammelt, die dort dem Singsang lauschte, den ein Priester auf einem Sockel unter der Statue S.Bernadettes durch die Lautsprecher säuselte. Seine Predigt versetzte einen authentisch direkt zurück ins Mittelalter: da gab es noch die ´Feinde der Kirche´, die ´falschen Propheten´, die uns vom rechten katholischen Weg abbringen wollen, und immer war der Moment der Entscheidung, der finalen Rettung gerade jetzt. Nach dem Fürbittengebet scharten sich die Pilger in Gruppen: die Deutschen und die Iren waren die ersten, die Italiener die letzten, die sich hinter ihren Landesflaggen in Viererreihen formierten; den Abschluß der Prozession bildete jedoch die größte Gruppe der Fußkranken, die in Karren gezogen und in Rollstühlen geschoben wurden. – Ich hoffe sehr für die mit gelben Dreieckstüchern markierten Helfer, daß die nicht alle bis Santiago wollten.
Die Stadt selbst scheint überhaupt nur aus Hotels und Andenkenläden zu bestehen: da gibt es alles, den ganzen katholischen Wahnsinn, Kerzen und Kalender, Medaillen und Figurinen, Rosenkränzchen und Pilgerkäppchen, und Kanister bis 5l für das heilige Wasser aus der Bernadette-Grotte, für das die Bedürftigen Schlange standen. Am Abend fluteten Uniformierte die Gassen, Soldaten aller Corps und Legionen, die für die kommenden drei Tage das Prozessionsspektakel gestalten würden: gefolgt von den purpurgewandeten Würdenträgern, vor denen die Gläubigen auf die Knie sanken, marschierten sie am folgenden Tag zu den Worten „Liebet eure Feinde“ im Stechschritt – Männer und, jaja, auch Frauen, deren Handwerk, machen wir uns nichts vor, nicht das Possieren in adretten Uniformen, sondern das Töten von Menschen ist.
Am Nachmittag betrat ich die Basilika. In der letzten Reihe kniete dort ein früh ergrauter Mittvierziger in Kampfuniform mit kroatischem Abzeichen, der wirr an seinen Händen nestelte. Ein kurzes Gespräch später bestätigte meine Vermutung: you know, when the demons come at night, you know. – Ich wünsche uns allen, auch denen, die da draußen paradierten, daß uns seine Erfahrungen erspart bleiben.
It was time to carry on.

Lourdes1
Video anschauen! Is this sarcasm or already madness?
(Falls das Plugin streikt: Rechtsklick auf den folgenden Link, „Ziel speichern unter…“ u. manuell aufrufen): Militärparade in Lourdes

Die westlichen Pyrenäen

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Kurz nach dem kleinen Pass Lerga sah ich zum ersten Mal, mit nicht geringem Schrecken, die weiße Kulisse der Pyrenäen in der Ferne aufragen. Ich hatte mit einer solchen Schneedecke um diese Jahreszeit nicht mehr gerechnet und konnte nur hoffen, daß die tunnellosen Übergänge, die ich fahren wollte, bereits geräumt waren.
Eine unliebsame Überraschung war die unangekündigte Sperrung der Uferstraße am Stausee Yesa; der Wachmann an der Absperrung riet mir zu einer Umfahrung am anderen Ufer, ein Umweg von etwa zwei Tagen. Da man sich als Radfahrer in Europa ohnehin meist in rechtlichen Grauzonen bewegt (Warnweste?, Helmpflicht?), wählte ich stattdessen für 8km den Standstreifen der parallel verlaufenden Autobahn. Das für jeglichen Verkehr gesperrte Nordufer bot mir nun, von der anderen Seite her kommend, wunderbare, ungestörte Zeltmöglichkeiten, und ich verbrachte zwei Nächte auf einer Steilklippe über dem tiefblauen Wasser. Die am Ufer liegenden Dörfer, obwohl noch auf der Karte verzeichnet, sind seit der Landnahme des Stausees-Projekts verlassen; in den kommenden Jahren soll der See gegen den Widerstand der örtlichen Bevölkerung weiter vergrößert werden, um die Trinkwasserversorgung Zaragozas sicherzustellen.
Im Tal des Rio Esca schraubte ich mich stetig aufwärts, eine Nacht noch auf einer Almwiese, bevor ich gegen einen eisigen Frontalwind die letzten Kehren zum Col de St.Martin auf 1773m in Angriff nahm. Fröstelnde, leichtbekleidete Rennradler überholten mich auf den letzten Kilometern, am Pass traf ich den freundlich lachenden Franzosen Pierre, der mir eine wunderschöne, steile Waldabfahrt empfahl: der Frühling hatte mich wieder, Wassergeplätscher und Vogelgezwitscher, wärmender Sonnenscheini auf den französischen Auen. Am nächsten Tag schon, früh geweckt von einer Wandergruppe, erreichte ich nach einigem Auf und Ab im hügeligen Vorland der Pyrenäen Lourdes.
Seit Burgos habe ich 507km und 6.282 Höhenmeter zurückgelegt.
Karte folgt.

¡Buen Camino!

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It turned out that the picturesque town of Burgos had a nice library which made my stay longer than expected. I’d be there in the morning when it opened and in the evening until it closed, reading about two books a day: H.Schultz’s touching narrative about his turnover of Starbucks, books about entrepreneurship and marketing, and about „what Einstein may have told his hairdresser“, an interesting collection of the intricate questions of daily life (like what to do when in a falling lift). Burgos happens to be on the main track of the famous pilgrim route to Santiago de Compostela. That is a route from the South of France through the North of Spain, about 800km for about 40 days. You collect stamps all along the way in the accomodation facilities and the visiting spots and when you arrive Santiago with enough stamps you get a certificate in your language (if you did the camino „for private reasons“) or in latin (if you did it „for religious reasons“). That’s how the pilgrim system works.
One sunny afternoon, I stood in one of the lovely little pedestrian streets, when a man, for his accent an Austrian, came by in a rush shouting „¿peregrino, peregrino? ¿albergue, albergue?“ He immediately hastened away into the direction I pointed him to. This was my first encounter with a pilgrim in action. For two days in the lovely green hillsides (that is, upwards and downwards) to Logroño and Estella, I should meet more people than on the countryside of Southamerica in a whole year: friendly people of all ages and nationalities, struggling with the sun, moaning about theirs blebs, gathering in groups or solely. „You go in the wrong direction! Aren’t you on the camino?“ – „I’m just cycling here.“
While I respect them for their outdoor activity, I personally don’t share their preference to go for the beaten track: walking in the crowd, on a predefined way, in a prescribed direction, seeing preconceived things, sleeping in completely organized places. In Estella, I even spent a night in a pilgrim’s hostal, just for the experience. Light was eclipsed with the sun at 10 o’clock, the first left at 6 o’clock the next morning. With 40 snarkling people in one room, it was not the best sleep night of my life, but the atmosphere was pleasant: the home was run by a team of mentally impaired people who invited me for their pasta dinner – they had cooked about twice too much – and we spent a very funny evening.

Im Baskenland

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Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ „Oh!“ sagte Herr K. und erbleichte.
B.Brecht, Das Wiedersehen

In Burgos, vor der prächtigen Kulisse der Kathedrale, traf ich meine Eltern, begegnete ich nach Jahr und Tag meinem Vater wieder.
Wer könnte einen solchen Moment beschreiben? Alles war anders und alles war vertraut. All die Erfahrungen, die Begegnungen, das Gelebte seither – welche Spuren hinterläßt es, wie verändert es einen? Inwieweit entspricht einer noch dem Bild, das der andere sich in der Zwischenzeit bewahrt hat? Und das sich im Lauf der Tage und Wochen und Monate selbst gewandelt hat? Wie verhält man sich zu dieser Differenz? Was knüpft an, was setzt sich fort? Das sind nicht Fragen die sich stellen, sondern Fragen deren Antworten sich ergeben.
– Wir verbrachten heitere, unbeschwerte Tage des Erzählens und Nachholens, Tage, in die kaum ein Schatten der ungewissen Zukunft fiel. Wir genossen den spanischen Frühling, wandernd in den Gipfeln der Picos de Europa, spazierend entlang der steil in den Atlantik abfallenden Felsküste.
Am Vormittag unseres vorläufigen Abschieds in Bilbao besuchten wir das Guggenheim-Museum. Dieses Museum stellt, abgesehen von ein bißchen Konzeptkunst, vor allem sich selbst aus: den spektakulären, überwältigend verschachtelten, vielperspektivischen Bau des amerikanischen Architekten F.Gehry. Wer die Komplikationen kennt, die schon ein einfacher Umbau des Eigenheims verursachen kann, den wird besonders beeindrucken, daß ein solches Jahrhundert-Projekt plangemäß in vierjähriger Bauzeit und im Budgetrahmen fertiggestellt wurde.
Nach dem Abschied am Flughafen kehrte ich für einige Tage nach Burgos zurück.

Europa wieder

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Nach zwölfstündigem Flug und 10.000 Kilometern landet der Airbus A340 komplikationslos in Madrid, und um 17.30 Uhr Ortszeit betrete ich erstmals wieder europäischen Boden. Noch am Flughafen befreie ich das zerlegte Fahrrad aus dem Karton und fahre nach 1,5stündiger Montage in die Innenstadt. Es ist dort der Tag des Buches und des Champions League-Spiels München gegen Madrid.
Wie fühlt es sich, wieder in Europa zu sein? Der erwartete Kultur- ist zunächst vor allem ein Preisschock – alles genau dreimal so teuer wie noch in Argentinien, und für alles muß gelöhnt werden: vom Gepäckwagen am Flughafen bis zum Lächeln des Kellners, der mir später im thailändischen Restauant ein vegetarisches Essen serviert, so delikat wie ich es auf dem Kontinent der Carnivoren seit Ricardos Abschiedsmahl in Santiago nicht mehr hatte. Schwierig eine Unterkunft zu finden, die mich mit dem Fahrrad aufnimmt: die Leute leben in Sorge um ihre tapezierten Wände.
Beim Abendspaziergang durch die Innenstadt komme ich mir vor wie in einer niedlichen Spielzeugwelt: gediegene Fassaden, alles so sauber, die Trottoirs ohne Ausschau nach Löchern und Brettern gefahrlos begehbar, fein gekleidete, dezent parfümierte Passanten, die mit putzigen Chihuahuas aus makellos glänzenden Autos steigen, gern zur Schau getragener Wohlstand, fancy stuff.
Am nächsten Tag besuche ich eine Ausstellung über Pixar, die Firma, die in den 80er Jahren mit den ersten klotzigen Animationsfilmen begann und von S.Jobs an Disney verkauft wurde. Ein Stück der Geschiche meiner Generation auch, die wir gerade noch eine Welt ohne die Omnipräsenz elektronischen Spielzeugs kannten. Den Nachmittag verbringe ich mit der vergeblichen Suche nach benzina blanca für meinen Benzinkocher: hier braucht man dazu wahlweise einen Waffenschein oder eine abgeschlosse Sprengmeister-Ausbildung.
Dann mache ich mich wieder auf den Weg, teilweise auf der Autobahn (Polizisten winken resolut, ich winke freundlich zurück) im Frühlingsregen sanft ansteigend bis zum 1500m-Pass bei Somosierra, dann über Land durch Kastilien bis Burgos. Unterwegs in den verfallenen Dörfern nette Unterhaltungen mit den Alten, die gelassen vor ihren Steinhäusern in der Sonne sitzen und von ihren Kindern erzählen, Kinder, die längst in die Städte oder zum Arbeiten nach Deutschland gezogen sind.
In Burgos, vor der prominenten Kulisse der Kathedrale, treffe ich herzlich meine Eltern, begegne nach Jahr und Tag meinem Vater, und alles war anders und alles war vertraut.

Farewell, South America!

Me alegra tanto oir tu voz aunque dormido,
por fin viajabas como en tus sueños
buscando un sitio para volver,
y sin poder olvidar lo que dejas, lo que has aprendido,
van a cambiar las caras, los sueños, los dias
y yo lentamente te pierdo.

Ella baila sola, Cuando los sapos…

When this article gets published, I’ll be 10km above ground level flying back to Europe. Already during these last weeks I lived the gentle farewell, the beginning of my slow home coming. I knew that I was going to experience some things for the last time here, the last camp night out there under a starry sky, the last orange full moon (which grows here from the left to the right hand side…), the last time to see the Southern Cross, the last view on the Pacific Ocean, the last time to eat one of these delicious empanadas, the last ripio gravel road. Things get another meaning under this perspective. What will be the last word you speak on this continent? What will be your last perception, the last face you see?
I spent almost one year in South America, and what had started as a mere dream became the project of my life. Inch by inch I made my way through the continent, along coast lines, in jungle and deserts, crossing mountains and planes. In sun and rain, in hail and heat, in wind and dust. Passing lonely countrysides, passing wooden shacks, passing farm buildings, passing mansions, passing modern cities. I have seen desperate poverty, men struggling for a living, I have seen those who made it. I met people who shared their home with me, the stranger, who willingly let me take part in their overwhelming happiness and strong confidence, people who welcomed me with curiosity and open-hearted cordiality, people who live their culture, their beliefs. I’ve experienced a friendliness and helpfulness never expected. I felt closer to life than ever before.
Returning to Europe will be hard, and, as a friend of mine once formulated, I somehow envy this wonderful continent to continue existing while I’ve left it. For some times, I felt inclined to follow the temptation, to cancel the flight and to start directly a living here, like anyone started from scratch who started a living in a foreign country. But I know that, in the given situation, things would not get round. I am coming home now. My last word was: gracias!

I cycled here for 126.825 altitude meters (which is like climbing the Mt.Everest 14 times – with a 40kg backpack) and for 11.038km (which is about 3.2 times the diameter of the moon – or about 29thousandths of its mean distance to the earth…).

Southern Cross

Southern Cross (src: http://es.uruguay-fotos.com/15482-7/Kreuz+des+Suedens.jpg)

Streifzüge

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„Was wir wollen, ist des Zufalls Spiel; Nur der Weg ist unser, nicht sein Ziel.“
nach W.Shakespeare, Hamlet

Mein Plan war, für die verbleibenden Tage ins 300 ebene Kilometer entfernte Rosario zu radeln, das als die kulturell zweitbedeutendste Stadt Argentiniens gilt. Ich stürzte mich also in den Verkehr, der es an Chaos durchaus mit der Stadtausfahrt von Bogotá aufnehmen konnte, und erreichte bald das erfrischende Grün des Küstenstreifens am Río de la Plata, dann die gediegenen Vororte San Isidro und Tigre, in denen sich die Porteños vom Stadtleben erholen.
Meine Exkursion sollte mich durch sämtliche Schichten der argentinischen Gesellschaft führen – am nächsten Vormittag zunächst durch die Siedlungen der Bessersituierten, deren schmucke Villen auf grünem Rasen hinter schwer bewachtem Drahtzaun liegen: Kameras, Wachtürme und bewaffnete Eingangskontrollen.
Gegen Mittag fand ich mich auf dem Standstreifen der sechsspurig ausgebauten Panamericana wieder, nach 120km die Sinnfrage: what am I doing here? Meine letzten Fahrradtage in Südamerika wollte ich nicht auf einer Autobahn verbringen. Es geht nicht ums Ankommen, um das Ziel, es geht ums Unterwegssein und die Erfahrungen unterwegs. Ich brach ab und radelte ins nächste Dorf, Campana bei Zárate. Die Linien, die man reisend auf die Landkarte zeichnet, müssen nicht schlüssig sein; Wege, wie Biographien, sind interessanter mit Brüchen, mit Wendungen und Zwischenfällen.
Campana erwies sich als rege, aber gemütliche Industriestadt, bekannt durch große Firmen der Ölindustrie und ansässige Unternehmen wie das italienische Siderca, das mit seinen schweißnahtlosen Röhren knapp ein Drittel des Weltmarktangebots stellt. Ich unterhielt mich darüber mit dem freundlichen Wirt meiner einfachen Herberge, der -wie viele hier- über die inflationsbedingt unaufhaltsam fortschreitende Verarmung des Mittelstands, die Konzeptlosigkeit einer unverantwortlichen, korrupten Politikerkaste und die gefühlt zunehmende Unsicherheit klagte. Die Herberge selbst erwies sich später als für diskrete Seitensprünge buchbares Stundenhotel; insgesamt war in dieser Nacht dort jedoch wesentlich weniger Verkehr als tagsüber auf der Panamericana.
Campana liegt an einer der wenigen funktionierenden Zugstrecken in Argentinien, eine Infrastruktur, die seit ihrem Bau 1876 durch eine englische Privatgesellschaft und seit der Verstaatlichung 1948 unverändert, d.h. investitionsfrei verwahrlosend, die Zeiten überdauerte: originale Bahnhofsgebäude, links fahrende Dieselloks und ein vorsintflutliches Signalsystem. Staatlich subventionierte 85 Euro-Cents kostete mich das Ticket für die 3,5 stündige Fahrt zurück nach Buenos Aires. Im desolaten Fahrradabteil eine stark alkoholisierte Gruppe von Fußballfans, die wie eine wildgewordene Affenbande zu entstellten Liedern auf die Metallwände des Waggons eintrommelte – der politisch so nachhaltig umworbene und doch vergessene Rest der Gesellschaft. Ich wich keinen Meter vom Fahrrad und knurrte ein drohendes cuidado!, sobald sich einer torkelnd näherte. Das bis auf einen spontanen Flashmob von etwa 150 Radakrobaten österlich ruhige Buenos Aires durchradelte ich von Retiro bis zum Bahnhof Constitución für eine Verbindung in den Süden, zur Provinzhauptstadt La Plata. Diesmal brach in meinem Abteil gar eine spontane Schlägerei zweier bekiffter Banden aus. Diese beiden Zugfahrten gehören zu den anstrengendsten und gefährlichsten Situationen, die ich auf meiner Reise erlebt habe.
In der geometrisch angelegten Stadt fand ich mich leicht zurecht und radelte am nächsten Morgen ausgeruht ins flache Hinterland gen Süden, nach Magdalena, der ländlichen Kleinstadt mit schöner Kolonialarchitektur aus dem 19.Jahrhundert.
Am Ufer des „löwenfarbenen“ Río de la Plata, in der Ruhe der unendlichen, weiten Ebenen der Pampa endete meine Radreise in Südamerika. Dieses zurückliegende Jahr, all die Gedanken, die Landschaften und die Begegnungen seither – was mehr, was weniger als: Streifzüge.

Faces of a City

„In spite of wars and tourism and pictures by satellite, the world is just the same size it ever was. It is awesome to think how much of it I will never see. It is no trick to go round the world these days, you can … fly round it nonstop in less than forty-eight hours, but to know it, to smell it and feel it between your toes you have to crawl. There is no other way. Not flying, not floating… Then the world is immense. The best you can do is trace your long, infinitesimally thin line through the dust and extrapolate. I drew the longest line I possibly could, that could still be seen as following a course.“ T.Simon, Jupiter’s travels
Well, the situation consolidated when I found a safe place to leave the bicycle in the town center’s hostel. The only way to really discover a city is to walk. I walked a lot, I walked for hours, I walked for days. I walked the streets of copple stone in the tango quarter San Telmo, I went to the modern district of Puerto Madero, skyscrapers along the former city harbour, and to the rougher neighbourhood of La Boca, where just some blocks from the picturesque touristic scenery of colourfully painted houses elflock children play in the foul gutter. I crossed the residential areas of Monserrat and Balvanera, with their deep and dark urban canyons between the highrisers (see the impressive aerial photos 1 and 2), and the more cosy places of the Paris-like Palermo Viejo and the wealthy Recoleta with their 19th century buildings. I’ve seen people sleeping on cardboard mattresses in the streets, people with tired time-worn faces who since long have given up to fight, elegantly dressed ladies pushing the buggy on the green playgrounds in the sunny afternoons, business men running in the streets hounded by their loneliness, elder women selling flowers on bus stops and men in old-fashioned suits sitting around in bars sipping an eternal cup of coffee.
But the evenings found me in what I may have missed these last months, in the theatre, in the cinema (with a poignant Argentine movie) and, of course, in a tango show: a highly virtuosic presentation of various aspects of traditional and modern tango, with fancy dresses and a precisely dosed erotism. I could have watched that for the rest of my life.
But I somehow cannot resist the temptation to reassemble the completely dismantled bike to head for a last back-country trip in South America.
mapa_buenos_aires

Harte Landung – Schlaflos in Buenos Aires

„Denn ich bin ein Mensch gewesen, Und das heißt ein Kämpfer sein.“
W.Goethe, Westöstlicher Diwan

Schneegestöber verabschiedet mich frühmorgens am Flughafen. Am Tag zuvor hatte ein Generalstreik die komplette Region lahmgelegt, und ich bin froh, den langen Warteschlangen zu entkommen. Ein letzter schmerzlicher Blick auf die weißen Gipfel; drei Stunden und 3080km später bin ich dann schon in Buenos Aires. In der 13-Millionen-Einwohner-Stadt erwarten mich nun andere Herausforderungen: die meisten Unterkunftsangaben aus meinem Reiseführer erweisen sich als nicht mehr aktuell, in Telephonzentralen am Flughafen improvisiere ich notdürftig. Der Taxifahrer zu einer Adresse in Palermo Soho schaltet unterwegs den Taximeter ab und erpresst mich mit dem dreifachen Fahrpreis. Mit insgesamt 40kg sperrigem Gepäck will man nicht irgendwo in einem Vorort auf der Straße stehen. Ich komme am Hostal an, erster Eindruck: kann nur noch besser werden. Schimmelteppich an den Wänden, Türschloss kaputt, die Toilettenspülung nur mit einem beherzten Griff in den Spülkasten bedienbar, auf eine genauere Inspektion der Dusche habe ich lieber gleich verzichtet. Wie man von einem Tag auf den anderen plötzlich so in der S. sitzen kann! Erster Erkundungsgang zum nächsten Park. Zwar gilt Palermo noch als besseres Viertel, doch die Leute gehen sichtlich in Angst: Rucksack vorne, scheue Blicke, kein Lächeln. Verwirrte Gestalten allenthalben, Müllsammler ziehen ihre traurigen Karren durch die hohen Straßenschluchten, Wohnanlagen hinter Metallzäunen, Geschäfte öffnen nur auf Klingeln hin ein kleines Fenster. Ich kehre müde in meine Unterkunft zurück. Bis morgens um 4Uhr hält mich Musiklärm aus dem Innenhof wach, um 5Uhr weckt mich eine dunkle Gestalt, ein neu ins Zimmer kommender Übernachtungsgast, aus dem Halbschlaf. Morgens lümmeln Bierleichen im Foyer und blicken starr ins Leere. Ich rufe ein Taxi, um ins Zentrum zu wechseln, von hier aus nur noch aufwärts. Eine tiefe Melancholie liegt über dieser apathischen Stadt.

Songs my father taught me

How many roads must a man walk down
before you call him a man
B.Dylan, Blowing in the wind

People ask me what I think during these long hours riding the bicycle. To be honest: not too much. I am more occupied with the landscape around, with the road conditions, the traffic, with taking pictures. Sometimes I think of future projects, I sing or listen to music, and once in a while I utter sudden bursts of laughter when I remember obscure or funny situations of the journey I was part of. And many memories which come and go reach further back, reach back to youth and childhood. One of my earliest mind pictures is my father sitting on one of these dark brown leather couches so common in the 80ies, his guitar in his hands and playing and singing. We had a whole series of song books, liederwolke, liederbaum, etc. and he sang a lot in those days, songs from his own youth like the golden „Jenseits des Tales“, the wistful „Lili Marleen“ („und wenn die späten Nebel dreh’n, wer wird bei der Laterne steh’n“) and more recent ones, „Donna, Donna“, „Lady in Black“, Dylan, „Good night, ladies“, „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“, „Nehmt Abschied Brüder“.
I still remember every single line of these songs. Each song formulates an own perspective on the world, each one presents considerations on situations known to all of us, each one teaches us something about human nature. But the most I learned about people was from the example of my father himself. I’ve never met a man with such an intuitive knowledge of human nature, with such an ability to listen as my father.
On this particular journey, I had to deal anytime with new encounters, I always had to rely on the help of others, be it for shipping me over an impassable lake, aiding me to get a cardboard box or just to watch the bike for a moment while in a shop. The aptitude to open people and to know whom to trust I owe to my father. On the occasion of his birthday I wish him all the best!