Ans Ende des Regenbogens – Die Carretera Austral südwärts

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Tho‘ much is taken, much abides; and tho‘
We are not now that strength which in old days
Moved earth and heaven, that which we are, we are;
One equal temper of heroic hearts,
Made weak by time and fate, but strong in will
To strive, to seek, to find, and not to yield.
            A.Tennyson, Ulysses

Nach Río Tranquilo ging’s dann wieder weiter auf dem harten Schotter der Carretera Austral, zunächst entlang des Westufers des türkis leuchtenden Lago General Carrera, dem zweitgrößten See Südamerikas, den Chile sich mit Argentinien teilt, dann unter Gletschern durch eher trockenes Steppen- und Grasland. Über der Landschaft lag eine geradezu mystische Stille. Entlang der gesamten 1200km langen Carretera leben nur etwa 100.000 Siedler, die Hälfte davon in Coyhaique. Der Süden dieser seit ’76 unter Pinochet begonnenen, erst 1999 bis Villa O’Higgins vorgedrungenen Schneise in die Wildnis ist spürbar karger, härter und einsamer als der Norden. Aus vereinzelt im Nadelwald verborgenen, dürftig zusammengezimmerten Holzhütten blickten dunkle schnauzbärtige Männer mit Baskenmützen. Nur für ein Vierteljahr liegt die monatliche Durchschnittstemperatur über 5-7°C, der erforderlichen Temperatur für die Bildung eines nährstoffreichen Bodens. Die Leute leben daher hauptsächlich von Holz- und Viehwirtschaft, und oft sah ich auf Holzgestellen enthäutete Tierkadaver.
Man sagt, wer sich in Patagonien beeile, verliere seine Zeit, aber ich war auf dem Wettlauf, die für den 8.März gebuchte Fährüberfahrt in Villa O’Higgins zu erwischen. Nach einer Nacht am Lago Bertrand brach ich mit dem ersten Sonnenstrahl, der über die schneebedeckten Vulkane spitzte, auf und erreichte über eine stark ondulierende Waschbrett-Piste Cochrane, „la ultima frontera“, die letzte passable Versorgungsstation. Der einzige Geldautomat dort war in Reparation, was aufgrund meiner schwindenden Bargeldreserven meinen Speiseplan für die nächsten Tage auf Brot, Pasta und Reis beschränkte. In dieser kleinen Siedlerstadt traf ich wieder Mike, der nach einem Hundebiss dort zu einer vierwöchigen Zwangspause mit Tollwut-Impfungen gezwungen war.
Ich radelte unermüdlich weiter, farbige Lagunen, nebelverhangene Gletscher und glasklare Wasserfälle, leaping into the dark bis 21 Uhr, kurzes Nachtlager entlang der Straße, um 5 Uhr wieder auf dem Sattel, in der regnerischen Dunkelheit vorbei an den nachtschwarzen Silhouetten einsamer Gehöfte, gejagt von Hundegebell, getrieben von der unerbittlich verstreichenden Zeit: 74km waren es nach meiner Karte bis zu der um 12 Uhr übersetzenden Fähre in Puerto Yungay, die mich auf das letzte 100km-Teilstück bis Villa bringen sollte. Etwa auf der Höhe von Cerro Castillo wechselt die Carretera sanft von der feuchten West- auf die Ostseite der Anden, die südlich von Cochrane, stark abgeflacht, feuchte Meerluft passieren lassen, Luft, die sich über den beiden riesigen Inland-Eisfeldern Campo de Hielo Norte und Sur abkühlt. Merklich ging die Vegetation wieder in Regenwald über, in Nalca-Blätter, Schlingpflanzen und Moose.
Gegen 10 Uhr erreiche ich die Abzweigung nach Puerto Yungay, das Straßenschild droht mit 30km, eine nicht endenwollende Schottersteigung hinauf auf 450m, auf der mich der Bus aus Cochrane überholt – mit dem aus dem Fenster grüßenden Jens an Bord. Letzte Kraftreserven mobilisierend, eine halsbrecherische Abfahrt über Schlaglöcher, das Fjord in der Ferne, die letzten Meter zum Hafen, noch einmal steige ich kräftig in die Pedale und schieße mit einem Jubelschrei der Erleichterung über die Laderampe. Zwei Minuten später lichtet das Schiff die Anker.
Am frühen Nachmittag des nächsten Tages radle ich erschöpft aber glücklich im 500 Seelen-Dorf Villa O’Higgins ein, am Ende des Regenbogens, am Ende der Carretera Austral und auf jeden Fall am Ende der zivilisierten Welt.
Seit Río Tranquilo hatte ich 350km und 5.650 Höhenmeter zurückgelegt.